Leitsatz

Hat das BVerfG entschieden, dass eine Steuerrechtsnorm mit Bestimmungen des GG unvereinbar ist und die Fortgeltung der Vorschrift bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber angeordnet, und wird deshalb ein Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, entspricht es billigem Ermessen, der Finanzbehörde die Verfahrenskosten aufzuerlegen.

 

Normenkette

§ 143 Abs. 1, § 138 Abs. 1 FGO, § 31 Abs. 2, § 35, § 78 BVerfGG

 

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt eine Privatbrauerei und hatte ihren Biersteuerbescheid für 2004 angefochten. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG des Saarlandes, Urteil vom 25.11.2008, 2 K 2284/04, Haufe-Index 2092850).

Sie machte geltend, § 2 Abs. 2 BierStG 1993 i.d.F. des Art. 15 HBeglG 2004 verstoße gegen formelles und materielles Verfassungsrecht. Der BFH hatte das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ausgesetzt und eine Entscheidung des BVerfG eingeholt. Mit Beschluss vom 11.12.2018 (a.a.O.) hat das BVerfG entschieden, dass § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 BierStG 1993 i.d.F. des Art. 15 HBeglG 2004 mit Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Zugleich hat es angeordnet, dass die Vorschrift bis zum Inkrafttreten von § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 BierStG i.d.F. des Art. 4 des Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 15.7.2009 (BGBl I 2009, 1870) zum 1.4.2010 anwendbar ist.

Nach Wiederaufnahme des Verfahrens erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Der BFH hatte über die Kosten des Klage- und Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Entscheidung

Der BFH hat im Beschlussweg die Kosten des gesamten Verfahrens dem Beklagten auferlegt. Er stellte auch klar, dass das erstinstanzliche Urteil gegenstandslos ist.

 

Hinweis

Insbesondere im Abgabenrecht gelangte das BVerfG wiederholt zu der Überzeugung, dass Bundesrecht mit dem GG unvereinbar ist. In der Regel erklärt das BVerfG die betreffende Norm für nichtig (§ 78 BVerfGG). In diesem Fall ist diese Norm ex tunc (von Anfang an) rechtsunwirksam. In bestimmten Fällen sieht das BVerfG von der Nichtigerklärung ab und stellt lediglich die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit einer bestimmten Norm des GG fest (vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG). Damit bleibt die verfassungswidrige Norm vorerst bestehen. Auf der Grundlage des § 35 BVerfGG kann das BVerfG die weitere Anwendbarkeit des verfassungswidrigen Gesetzes anordnen und dies mit konkreten Anweisungen an den Gesetzgeber verbinden.

Prominente Beispiele für diese Weitergeltung waren in der Vergangenheit:

Im Streitfall ging es um das Biersteuergesetz, insbesondere um dessen formelle Verfassungswidrigkeit. Die Weitergeltung der entsprechenden Norm begründete das BVerfG mit dem Gesichtspunkt der Verlässlichkeit der Finanz- und Haushaltsplanung für weitgehend schon abgeschlossene Zeiträume (BVerfG, Beschluss vom 11.12.2018, 2 BvL 4/11, 2 BvL 5/11, 2 BvL 4/13, BFH/NV 2019, 381).

Der BFH hatte das Klageverfahren gegen den Biersteuerbescheid ausgesetzt und eine Entscheidung des BVerfG eingeholt. Nachdem das BVerfG entschieden hatte, dass § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 BierStG 1993 i.d.F. des Art. 15 HBeglG 2004 mit Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG unvereinbar sei und zugleich angeordnet hatte, dass die Vorschrift bis zum Inkrafttreten von § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 BierStG i.d.F. des Art. 4 des Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 15.7.2009 (BGBl I 2009, 1870) zum 1.4.2010 anwendbar bleibe, erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Dadurch wurde die Entscheidung der Vorinstanz wirkungslos (BFH, Beschluss vom 26.2.2009, VI R 17/07, BFH/NV 2009, 843, BStBl II 2009, 421). Der Ausspruch im Tenor war insoweit lediglich klarstellend.

Dem BFH oblag nur noch die Kostenentscheidung nach § 143 Abs. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 FGO. Nach der Rechtsprechung des BFH muss sich die nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung nicht ausschließlich am Gedanken des materiellen Kostenrechts orientieren, also daran, wer bei einer Entscheidung über die Hauptsache die Kosten zu tragen hätte. Dem Gericht ist vielmehr ein weiter Spielraum eingeräumt, innerhalb dessen eine Ausrichtung am allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden maßgebend ist (BFH, Beschluss vom 10.11.1971, I B 14/70, Haufe-Index 69630, BStBl II 1972, 222). Dabei kommt auch der Frage Bedeutung zu, welcher der Beteiligten Veranlassung zum gerichtlichen Verfahren gegeben hat. Da die Klägerin nach der Entscheidung des BVerfG einen ve...

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