Rz. 23

Während § 290 Abs. 1 HGB sowie § 11 Abs. 1 PublG prinzipienorientiert ein die Konzernrechnungslegungspflicht auslösendes Mutter-Tochter-Verhältnis lediglich über die unbestimmten Rechtsbegriffe der Möglichkeit der unmittel- und mittelbaren Beherrschung postulieren, werden in § 290 Abs. 2 HGB Tatbestände benannt, bei deren Zutreffen stets, d. h. zunächst unwiderlegbar, von einer Beherrschungsmöglichkeit auszugehen ist. DRS 19.18 bestätigt diese unwiderlegbare Auslegung der aufgeführten Tatbestände und sieht daher immer ein Mutter-Tochter-Verhältnis als gegeben an, wenn einer der in Abs. 2 aufgeführten Tatbestände erfüllt ist. Die Unwiderlegbarkeit eines beherrschenden Einflusses infolge einer vorliegenden Rechtsposition i. S. d. Nrn. 1–4 bereitet aber insofern Probleme, als dass denkbar ist, dass 2 unterschiedlichen Unternehmen verschiedene Rechte i. S. d. Abs. 2 zustehen und somit beide die Beherrschung hätten, was auch im DRS 19.7 für akzeptabel angesehen wird. Eine Widerlegung kann dann nur noch über die Einbeziehungswahlrechte des § 296 HGB erfolgen, was damit zur Korrektivnorm wird – allerdings bleiben durch die Ausgestaltung als Wahlrecht rechtssystematische Zweifel.[1]

 

Rz. 24

Als erster Tatbestand für eine Beherrschungsmöglichkeit und einen Hauptanwendungsfall in der Praxis sieht der Gesetzgeber die dem Mutterunternehmen zustehende Mehrheit der Stimmrechte eines anderen Unternehmens an, wobei die Berechnung der Stimmrechtsmehrheit in § 290 Abs. 3, 4 HGB konkretisiert wird. In Deutschland fallen die Stimmrechtsanteile häufig mit den Kapitalanteilen zusammen, doch sind Abweichungen bis auf den Fall denkbar, dass Stimmrechte völlig von einer Gesellschafterstellung abgekoppelt sind. Möglich sind dagegen stimmrechtslose Vorzugsaktien; die Ausgabe von Mehrfachstimmrechtsaktien ist aber etwa nach § 12 Abs. 2 AktG verboten. Im Ausland sind jedoch derartige Kombinationen denkbar, sodass es dort ggf. möglich ist, Stimmrechte an einem ausländischen Tochterunternehmen zu halten, ohne dass eine Gesellschafterstellung besteht. Der Gesetzgeber hat auf das Erfordernis einer Gesellschafterstellung hier verzichtet, sodass derartige Abweichungen vom deutschen Recht keine Auswirkungen auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung haben.

 

Rz. 25

Hinsichtlich der Stimmrechtsmehrheit ist nicht von einer rechtlich bestehenden Stimmrechtsmehrheit auszugehen. Eine Mehrheit kann somit auch dann vorliegen, wenn auf der Hauptversammlung regelmäßig weniger als 100 % der Stimmrechte vertreten sind und demnach für die Beherrschung bereits ein Anteil von unter 50 % ausreicht. In der Gesetzesbegründung weist der Gesetzgeber explizit darauf hin, dass bei dieser lediglich bestehenden Präsenzmehrheiten die Notwendigkeit einer Konsolidierung zu prüfen ist, wenn ein möglicher Einfluss für eine gewisse Dauer und nicht nur vorübergehend ausgeübt werden kann.[2]

 
Praxis-Beispiel

Auf der Hauptversammlung der A AG sind in den letzten Jahren nicht mehr als 80 % der Stimmrechte vertreten gewesen. Hält die M AG nun 45 % an der A AG, hat sie eine faktische Mehrheit, nicht aber eine rechtliche. Dennoch reicht dies für die Beherrschung der A AG aus.

 

Rz. 26

Diese faktische Mehrheit wird als ausreichend angesehen, wenn die Dauerhaftigkeit nachgewiesen werden kann. Durch die Notwendigkeit einer rechtlich formalen Auslegung reicht eine einfache Stimmrechtsmehrheit für die Klassifikation als Tochterunternehmen nach h. M. auch dann aus, wenn die Satzung für wesentliche Entscheidungen höhere Zustimmungsquoten vorschreibt.[3] Hierbei sind Stimmbindungsverträge oder unwiderrufliche Stimmrechtsvollmachten bei der Berechnung der Stimmrechtsmehrheit nicht zu berücksichtigen (DRS 19.23).[4]

Fehlt es jedoch an dem Stimmrecht aufgrund von dinglich wirkenden Ausübungsbeschränkungen, wie etwa eine gesetzliche Beschränkung nach § 328 AktG oder statutarische Beschränkungen, müssen diese bei der Ermittlung der Stimmrechtszahl beachtet werden (DRS 19.24).

Mit dem Erfordernis der Beherrschungsmöglichkeit kann somit eine formale Stimmrechtsmehrheit, wie es aus dem Gesetzestext zunächst zu entnehmen ist (… liegt stets vor …[5]), alleine nicht mehr für die Klassifikation eines Tochterunternehmens ausreichen;[6] zu fordern ist das Vorliegen einer materiellen Stimmrechtsmehrheit.[7]

 
Praxis-Beispiel

In der Satzung der B GmbH wird für wesentliche Unternehmensentscheidungen eine qualifizierte Mehrheit von 75 % gefordert. Die A AG hat einen Anteil von 60 % der Stimmrechte:

Formal besteht eine Stimmrechtsmehrheit; unter dem Aspekt der Beherrschungsmöglichkeit reicht diese jedoch nicht aus, d. h., es ist eine materielle Stimmrechtsmehrheit zu fordern, die in diesem Fall bei mindestens 75 % liegt.

 

Rz. 27

Ein Mutter-Tochter-Verhältnis wird auch dann stets angenommen, wenn ein Mutterunternehmen das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des die Finanz- und Geschäftspolitik bestimmenden Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans eines Unternehmens zu bestellen oder abzuberufen, und es gl...

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