Leitsatz

1. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeord­net oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme, weil Billigkeitsmaßnahmen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen dürfen.

2. Der Sanierungserlass, der nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt, ist auch in Altfällen nicht anzuwenden.

 

Normenkette

§ 10d Abs. 2, § 3 Nr. 66 EStG, § 8 Abs. 1, § 8c KStG

 

Sachverhalt

Die Gesellschafter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) verzichteten im November 2006 im Rahmen einer Sanierungsvereinbarung auf die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen (einschließlich Zinsen sowie weiterer Forderungen aus laufendem Geschäftsverkehr).

Aufgrund der Sanierungsvereinbarung wies die Klägerin in ihrem Jahresabschluss für 2006 neben ­einem laufenden Verlust einen außerordentlichen Ertrag aus.

Mit Einreichung der KSt-Erklärung für das Jahr 2006 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf das BMF-Schreiben vom 27.3.2003, IV A 6 S 2140 8/03 (BStBl I 2003, 240; sog. Sanierungserlass), die KSt gemäß § 163 AO aus Billigkeitsgründen auf 0 EUR festzusetzen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) ab. Auch der Einspruch blieb erfolglos. Weder lägen die Voraussetzungen des Sanierungserlasses noch sonstige Gesichtspunkte vor, die die begehrte Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen könnten. Insbesondere sei in Bezug auf die sog. Mindestbesteuerung keine Billigkeitsmaßnahme geboten. Persönliche Billigkeitsgründe seien nicht ersichtlich.

Dem FG wurden im Laufe des Klageverfahrens ­Bescheide vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass der verbleibende Verlustvortrag zur KSt auf den 31.12.2012 im Jahr 2013 teilweise gemäß § 8c KStG nicht mehr berücksichtigt wurde. Ein weiterer Teilbetrag wurde im Jahr 2014 nicht mehr berück­sichtigt. Die Klägerin trägt vor, der zukünfti­gen Verrechnung der Verluste stünde aufgrund von zwischenzeitlichen Anteilsübertragungen § 8c KStG entgegen.

Das FG (FG Köln, Urteil vom 16.6.2016, 13 K 984/11, Haufe-Index 9837686, EFG 2016, 1756) wies u.a. die Klage wegen KSt ab. Es führte aus, die Klägerin habe u.a. keinen Anspruch auf Verpflichtung des FA zu einer abweichenden Festsetzung der KSt 2006. Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehe kein Fall der sachlichen Unbilligkeit. Eine solche ergebe sich weder aus dem sog. Sanierungserlass noch wegen der im Streitfall erfolgten Besteuerung von Buchgewinnen im Zusammenwirken mit der Einschränkung der Verlustverrechnung (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG).

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Es bestehe kein Anspruch auf eine Billigkeitsmaßnahme, da die Besteuerung von Buchgewinnen im vorliegenden Sanierungsfall kein atypischer Einzelfall sei. Eventuelle Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung (oder des § 8c KStG in den Jahren 2013 und 2014) müsse die Klägerin im jeweiligen Festsetzungsverfahren vorbringen.

 

Hinweis

Nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach § 10d Abs. 1 EStG abgezogen worden sind, sind aufgrund der "Mindestbesteuerung" in den folgenden VZ nur beschränkt (bis zu 60 % des 1 Mio. EUR übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte) vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen im Wege des Verlustvortrags abzuziehen.

Dies kann z.B. dazu führen, dass im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen trotz bestehender Verlustvorträge Gewinne besteuert werden, obwohl dem Steuerpflichtigen keine Liquidität zur Bezahlung der Steuerschulden zugeflossen ist.

In besonders gelagerten Einzelfällen kann dies zwar dazu führen, dass Billigkeitsmaßnahmen angezeigt sind (vgl. BFH, Urteil vom 20.12.2012, IV R 36/10, BFH/NV 2013, 58, BFH/PR 2013, 58, BStBl II 2013, 498, Rz. 57; BFH, Urteil vom 20.12.2012, IV R 29/10, BFH/NV 2013, 103, BFH/PR 2013, 67, BStBl II 2013, 505, Rz. 21; BFH, Beschluss vom 28.11.2016, GrS 1/15, BFH/NV 2017, 498, BFH/PR 2017, 165, BStBl II 2017, 393, Rz. 145). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH, Urteil vom 21.9.2016, I R 65/14, BFH/NV 2017, 267, Rz. 24; BVerwG, Urteil vom 19.2.2015, 9 C 10/14, BVerwGE 151, 255). Sie darf aufgrund des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch nicht durch Verwaltungsanweisung korrigiert werden (BFH, Beschluss vom 28.11.2016, GrS 1/15, BFH/NV 2017, 498).

Dies ist verfassungsgemäß (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28.2.2017, 1 BvR 1103/15, Haufe-Index 10490236, zu § 10a GewStG).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 11.7.2018 – XI R 33/16

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