Leitsatz

Weder die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung beim Organträger noch die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung bei der Organgesellschaft beenden eine Organschaft, wenn das Insolvenzgericht lediglich bestimmt, dass ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird, sowie eine Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO erlässt.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1, § 16 Abs. 1 Satz 2 UStG, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 55 Abs. 1, 2 und 4, § 270a, § 274, § 275, § 276a InsO, § 426 BGB

 

Sachverhalt

Die Klägerin war jedenfalls bis zum 10.7.2014 Organgesellschaft der I-AG (Beigeladene).

Auf Antrag der jeweiligen Gesellschaften hat das Insolvenzgericht mit Beschlüssen vom 11.7.2014 in den Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Beigeladenen und der Klägerin jeweils die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO) verfügt. Dabei ordnete das Insolvenzgericht an, dass X zum vorläufigen Sachwalter bestellt wird und Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerinnen untersagt werden, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind; bereits begonnene Maßnahmen wurden einstweilen eingestellt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO). Weitere Anordnungen (z.B. nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 277 InsO oder eine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten) verfügte das Insolvenzgericht nicht.

Am 1.10.2014 wurde über die Vermögen der Beigeladenen und der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) angeordnet. Alle Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass jedenfalls seit diesem Zeitpunkt keine Organschaft mehr besteht.

Die Klägerin reichte in der Annahme, aufgrund der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung seien ab 11.7.2014 die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft entfallen, u.a. für die Voranmeldungszeiträume Juli 2014 bis September 2014 Umsatzsteuer-Voranmeldungen beim FA ein. Das FA stimmte den Voranmeldungen nicht zu, weil zwischen der Klägerin und der I-AG weiterhin eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft bestehe. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG (FG Münster, Urteil vom 7.9.2017, 5 K 3123/15 U, Haufe-Index 11365005, EFG 2017, 1756) gab der Klage nach Beiladung der Beigeladenen statt. Die Klägerin sei ab dem 11.7.2014 selbstständige Unternehmerin gewesen. Es habe keine umsatzsteuerrechtliche Organschaft mehr bestanden. Diese habe mit der Bestellung des X als vorläufiger Sachwalter im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung geendet.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.

Offen ließ der BFH, wie zu entscheiden wäre, wenn im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Sachwalters vom Insolvenzgericht angeordnet würde.

 

Hinweis

1. Nach der Rechtsprechung des BFH beendet die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung (im Ergebnis wie bei Fremdverwaltung) eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft (vgl. BFH, Urteil vom 15.12.2016, V R 14/16, BFH/NV 2017, 709, BStBl II 2017, 600). Liegt es dann nicht nahe, dass – wie in den meisten Fällen des vorläufigen Insolvenzverfahrens in Fremdverwaltung (mit Zustimmungsvorbehalt, vgl. BFH, Urteil vom 24.8.2016, V R 36/15, BFH/NV 2017, 242, BStBl II 2017, 595; BFH, Urteil vom 28.6.2017, XI R 23/14, BFH/NV 2017, 1561) – auch mit dem vorläufigen Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung die Organschaft endet?

2. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der BGH (BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16, ZInsO 2018, 2796) die erheblichen Unterschiede der Verfahren betont. Während der vorläufigen Eigenverwaltung steht dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen aus eigenem Recht zu, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt. Insolvenzspezifische Befugnisse sind ihm im Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung nicht zugewiesen. Die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren entspricht daher auch nicht derjenigen im eröffneten Verfahren.

3. Damit sind die Weichen der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung quasi mitgestellt: Handelt der Schuldner (zunächst) weiter autonom, fallen die Eingliederungsmerkmale (noch) nicht weg. Es gilt dann (noch) nichts anderes wie bei einem Insolvenzantrag, einer Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Zustimmungsvorbehalt, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eines Mitglieds des Organkreises oder bei Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (vgl. BFH, Urteil vom 22.10.2009, V R 14/08, BFH/NV 2010, 773, BStBl II 2011, 988, Rz. 35; BFH, Urteil vom 14.3.2012, XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493, Rz. 41; BFH, Beschluss vom 28.9.2007, V B 213/06, Haufe-Index 1959687): Sie alle führen (noch) nicht zum Ende der Organschaft.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 27.11.2019, XI R 35/17

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