Leitsatz

Die Verpflichtung zur Entsorgung eigenen Abfalls nach dem AbfG begründet nicht rückstellbaren eigenbetrieblichen Aufwand.

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 249 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 HGB , Art. 20 Abs. 1 und 2 4. EG-(Bilanz-)Richtlinie

 

Sachverhalt

Die Klägerin stellt Lacke und Lackfarben für industrielle Verarbeiter her. In ihrer Bilanz zum 31.12.1989 wies sie eine Rückstellung für rückständige Entsorgung von Wachs, Sondermüll, nicht zu verarbeitenden Rohstoffen und Fertigwaren aus. Sie hatte die Abfallbeseitigung einer Drittfirma übertragen und von ihr Abfallbehälter gemietet, ohne aber bereits einen konkreten Auftrag zum Abtransport erteilt zu haben. Das FA erkannte die Rückstellung nicht an. Eine Verpflichtung zur Entsorgung sei nicht hinreichend konkretisiert gewesen, es handele sich um eine Aufwandsrückstellung.

 

Entscheidung

Das sah der BFH im Ergebnis genauso. Es fehle sowohl eine behördliche Anordnung noch ein entsprechender unmittelbarer Gesetzesbefehl. Zwar ordne das AbfG an, dass schädliche Abfälle in umweltschonender Weise entsorgt werden müssten. Es sei auch zweifelsfrei, dass eine solche Entsorgung erfolgen müsse, um die Betriebsfähigkeit der Klägerin nicht zu gefährden.

Das alles ändere indessen nichts daran, dass sie in eigenbetrieblichem Interesse handele, das sich allerdings noch nicht in einer entsprechenden Außenverpflichtung durch Beauftragung eines Entsorgungsunternehmens konkretisiert habe. Das bloße Bereitstehen des Abfalls "auf Abruf" reiche nicht aus. Der entstehende Aufwand sei somit typischer Erhaltungsaufwand aus einer "Verpflichtung gegen sich selbst", für den eine Rückstellung nicht gebildet werden dürfe.

 

Hinweis

1. Ausschlaggebend ist im Urteilsfall die Erkenntnis des BFH, dass "der Kern der gesetzlichen Abfallentsorgungsverpflichtung (...) nicht in einer Verpflichtung des Abfallbesitzers (liege), die in seinem Betrieb anfallenden Abfälle zu beseitigen. Vielmehr beugen diese Bestimmungen der Lagerung und Entledigung von Abfällen in umweltbeeinträchtigender Weise vor (...). Das Erfordernis der Entsorgung selbst ergibt sich hingegen aus betrieblichen Notwendigkeiten (...)."

Daraus schlussfolgert der BFH, dass durch die Entsorgung von betrieblichem Abfall nach dem AbfG lediglich eigenbetrieblicher Aufwand ausgelöst werde. Der BFH verkennt dabei nicht, dass das AbfG zur umweltschonenden Schadstoffbeseitigung verpflichtet. Er verkennt ebenso wenig, dass ein Betrieb rein faktisch gezwungen ist, auf seinem Grundstück lagernde Abfälle zu entsorgen, würde er andernfalls an ihnen doch geradezu "ersticken" und seine Betriebsfähigkeit gefährden.

Ungeachtet dieser Umstände bleibt es aber dabei, dass die Entsorgung eine "Verpflichtung gegen sich selbst" ist, die nur künftigen Aufwand auslöst und die deshalb nicht rückstellbar ist. Anders verhält es sich nur, wenn eine verpflichtungsauslösende behördliche Anordnung vorliegt oder wenn sich eine solche Verpflichtung zur Abfallentsorgung unmittelbar auf Grund eines entsprechenden Gesetzesbefehls ergibt. Das zwischenzeitlich abgeschaffte AbfG bot hierfür jedenfalls keine Handhabe (möglicherweise allerdings das aktuelle KrW-/AbfG vom 17.9.1994, BGBl I 1994, 2705).

In Anbetracht des streitgegenständlichen Sachverhalts und dessen Beurteilung sah der BFH keine Veranlassung, auf die umstrittene Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 19.10.1993, VIII R 14/92, BStBl II 1993, 891, dagegen z.B. Schön, BB-Beil. 9/1994, 8; Gosch, StBp 1993, 1994, 96) zur Rückstellung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen einzugehen.

2. Das eigentlich "Revolutionäre" an der Entscheidung ist aber wohl weniger die konkrete Beantwortung des Einzelfalls. Es ist dies eher der Umstand, dass gleichzeitig der vieldiskutierte BFH-Beschluss vom 9.9.1998 (BStBl II 1999, 129) i.d.F. seiner "Klarstellung" vom 17.11.1999 (DB 2000, 25) zurückgenommen worden ist. Mit diesem Beschluss war beim Großen Senat des BFH angefragt worden, ob sich das in § 5 Abs. 1 EStG bestimmte Maßgeblichkeitsgebot auf die Vorschriften der 4. EU-Richtlinie (Bilanz-Richtlinie) vom 25.7.1978 bezieht. Der BFH ist nunmehr der Ansicht, der EuGH-Vorlage bedürfe es nicht, weil nicht hinreichend konkretisierte Verbindlichkeiten auch nach der Bilanz-Richtlinie nicht rückstellbar seien und weil die Richtlinie deshalb insoweit zutreffend in nationales Recht umgesetzt worden sei.

Die Frage danach, wer denn nun für das (deutsche) Bilanzsteuerrecht der "gesetzliche Richter" ist, ist sonach nach wie vor unbeantwortet (vgl. dazu Meilicke, BB 2001, 40). Hinzuweisen ist aber auf die umfänglich formulierte EuGH-Vorlage des FG Hamburg vom 22.4.1999, II 23/97 (EFG 1999, 1022), über die eine Entscheidung des EuGH noch aussteht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 8.11.2000, I R 6/96

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge