Leitsatz

1. Rücklagen i.S.d. § 6b Abs. 3 EStG für Gewinne aus der Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen sind in der durch die Mitunternehmerschaft aufzustellenden Sonderbilanz zu passivieren. Das gilt auch bei ausgeschiedenen Gesellschaftern.

2. Das Wahlrecht zur Bildung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG ist von dem Mitunternehmer persönlich auszuüben. Grundsätzlich wird vermutet, dass die Sonderbilanz mit dem Mitunternehmer abgestimmt ist. Diese Vermutung gilt nicht bei einem ausgeschiedenen Gesellschafter.

3. Hat ein Mitunternehmer die Vermutung seines Mitwirkens an der Aufstellung der Sonderbilanz erschüttert oder greift die Vermutung gar nicht ein, ist die von der Mitunternehmerschaft aufgestellte Sonderbilanz keine Bilanz, die das Änderungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des StBereinG 1999 auslöst.

 

Normenkette

§ 4 Abs. 2 Satz 2, § 6b Abs. 3 EStG, § 183 Abs. 2 Satz 1 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger war im Lauf des Jahrs 1998 als Kommanditist aus einer KG ausgeschieden. Seine Gesellschaftsanteile und seinen Miteigentumsanteil an dem im Eigentum der Gesellschafter stehenden Betriebsgrundstück hatte er gegen Abfindung auf die beiden verbleibenden Gesellschafter übertragen.

Mit der Gewinnfeststellungserklärung für 1998 legte die KG dem FA u.a. eine Sonderbilanz des Klägers vor, aus der sich ein Veräußerungsgewinn ergab. Gegen den erklärungsgemäß ergangenen Gewinnfeststellungsbescheid erhob der Kläger Einspruch und legte dabei eine Sonderbilanz vor, in der eine Rücklage nach § 6b EStG für den auf das Grundstück entfallenden Gewinn ausgewiesen wurde.

Das FA erkannte die Rücklage nicht an, weil ihre Bildung gegen das Bilanzänderungsverbot in § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG verstoße. Diese Auffassung teilte auch das FG.

 

Entscheidung

Der BFH war anderer Meinung. Die von der KG aufgestellte Sonderbilanz stehe der Bildung einer 6b-Rücklage durch den Kläger nicht entgegen. Zwar müsse eine Sonderbilanz von der Gesellschaft abgegeben werden. Das Wahlrecht zur Bildung der Rücklage stehe jedoch dem Gesellschafter zu. Es müsse deshalb eine Abstimmung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter stattfinden. Davon sei zwar regelmäßig auszugehen, nicht aber nach Ausscheiden des Gesellschafters.

Nachdem der BFH einen Gerichtsbescheid dieses Inhalts erlassen hatte, stellte das FA einen Antrag auf mündliche Verhandlung und half dann dem Klagebegehren ab. Der Kläger erklärte anschließend die Hauptsache für erledigt. Mit dem veröffentlichten Beschluss erlegte der BFH daraufhin dem FA die Kosten des Rechtsstreits auf.

 

Hinweis

1. Bereits mehrfach war die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des 1999 mit Rückwirkung eingeführten Bilanzänderungsverbots gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG an den BFH herangetragen worden. Bisher fand das Gericht aber immer Lösungen für die betreffenden Fälle, ohne zur Verfassungsfrage Stellung nehmen zu müssen.

So war es auch im Besprechungsfall, in dem der BFH § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG für nicht anwendbar hielt, wenn die erste Bilanz eine "Nicht-Bilanz" ist. Gemeint ist damit eine Bilanz, die gegenüber der Finanzverwaltung keine Wirksamkeit entfaltet, also auch kein Änderungsverbot auslösen kann.

2. Als eine solche "Nicht-Bilanz" hat der BFH die den ausgeschiedenen Gesellschafter betreffende, aber mit ihm nicht abgestimmte Sonderbilanz angesehen. Nicht anders dürfte eine diesen Gesellschafter betreffende Ergänzungsbilanz zu sehen sein. Auch in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen oder das Betriebsvermögen eines Einzelunternehmers wird es "Nicht-Bilanzen" geben können, nämlich dann, wenn eine solche Bilanz von einem Unbefugten aufgestellt bzw. unterzeichnet worden ist.

3. Befugt und verpflichtet zur Aufstellung von Ergänzungs- und Sonderbilanzen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich die Gesellschaft. An dieser Auffassung hat der BFH auch im Besprechungsurteil festgehalten. Wie man etwa am Fall einer Publikumspersonengesellschaft mit über 100 Kommanditisten erkennen kann, muss aus Gründen der Praktikabilität die Atomisierung der Aufstellungspflichten vermieden werden. Das FA kann sich deshalb wegen aller Ergänzungs- und Sonderbilanzen an die Gesellschaft halten.

Das ändert aber nichts daran, dass sich in Ergänzungs- und Sonderbilanzen Verhältnisse des einzelnen Gesellschafters widerspiegeln. Die betreffende Ergänzungs- und Sonderbilanz muss deshalb mit ihm abgestimmt werden. Für das FA ist i.d.R. nicht erkennbar, ob eine solche Abstimmung stattgefunden hat. Es darf deshalb nach dem Besprechungsurteil darauf vertrauen, dass alle Ergänzungs- und Sonderbilanzen mit den jeweiligen Gesellschaftern abgestimmt sind. Ist der Gesellschafter bei Bilanzaufstellung allerdings ausgeschieden oder sind dem FA ernstliche Meinungsverschiedenheiten bekannt, gilt der Vertrauensschutz nicht. Der BFH wendet insoweit § 183 Abs. 2 AO analog an.

Selbst wenn das FA Vertrauensschutz genießt, kann der Gesellschafter die Bindung an die von der Gesellschaft abgegebene Ergänzungs- oder Sonderbilanz vermeiden, wenn er Tatsachen vorträgt und...

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