Leitsatz

1. Führt eine Versendung oder Beförderung zu einer Lieferung, so bestimmt sich der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG 1999, ansons­ten nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG 1999.

2. Der Ort der Lieferung bei einem Kauf auf Probe ist nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG 1999 zu beurteilen.

 

Normenkette

§ 3 Abs. 6 Satz 1, § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG, Art. 8 Abs. 1 Buchst. a und b der 6. EG-RL (vgl. Art. 31 und Art. 32 MWStSystRL), § 454 BGB

 

Sachverhalt

Die Klägerin (Sitz in den USA) vertrieb Strumpfhosen, die sie direkt an die Kunden in Deutschland verkaufte. Der Kunde erhielt, nachdem er eine bestellte Sendung bezahlt hatte, unbestellt weitere Exemplare (Warenwert unter 50 DM) „zur Ansicht”, die er „vor Ablauf der Zahlungsfrist” zurücksenden konnte. Die in den USA hergestellten Waren wurden in ein Verteilerzentrum (Schweiz) versandt, dort verpackt und durch von der Klägerin beauftragte Spediteure nach Deutschland verbracht.

Das FG meinte, es liege eine Versendungslieferung vor (EFG 2005, 817).

 

Entscheidung

Die Revision des FA hatte Erfolg. Bei Beginn der Beförderung stand noch nicht fest, ob die Kunden die Waren zurückzugeben hatten. Die Überlegung des FG, die Versendung beruhe zwar nicht auf einem Kaufvertrag, aber die Kunden hätten an einen gutgläubigen Erwerber wirksam veräußern können (§§ 929, 932 BGB), griff auch zivilrechtlich zu kurz, denn das kann z.B. auch der Mieter eines Autos. Zum Zeitpunkt der Billigung durch die Empfänger der Sendung befanden sich die Gegenstände bereits im Inland bei den Kunden. Der Leistungsort der Strumpflieferung lag danach im Inland.

 

Hinweis

1. Für Warenlieferungen unter 22 € (50 DM) (sog. qualified shipments) gilt eine Zoll- und USt-Befreiung nach Art. 27 der Zollbefreiungs-VO i.V.m. § 1 Abs. 1 der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungs-VO. Die Lieferung einer geringwertigen Ware z.B. aus der Schweiz an einen inländischen Abnehmer ist deshalb im Ergebnis umsatzsteuerfrei: Denn bei einer Versendungslieferung (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG) gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Wird der Gegenstand der Lieferung hingegen nicht befördert oder versendet, wird die Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet (§ 3 Abs. 7 Satz 1 UStG). Diese Regelungen entsprechen dem Gemeinschaftsrecht.

Bei einer Versendung geringwertiger Waren aus dem Drittland „zur Ansicht” ist deshalb von erheblicher Bedeutung, ob eine Versendungslieferung i.S.d. § 3 Abs. 6 UStG vorliegt oder nicht. Für den „Kauf auf Probe” war dies umstritten.

2.§ 3 Abs. 6 und Abs. 7 UStG regeln Leistungsort und damit zugleich auch Zeitpunkt der Leis­tung für Umsätze i.S.d. § 1 Abs. 1 UStG. § 3 Abs. 6 und Abs. 7 UStG setzen deshalb bereits das „Umsatzgeschäft” voraus, das zu einer Lieferung gegen Entgelt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG führt (vgl. EuGH, Urteil vom 06.04.2006, Rs. C-245/04, „EMAG”, Rz. 46 zu Art. 8 Abs. 1 der 6. EG-RL) bzw. ob ein „Gegenstand der Lieferung” (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG) verwendet wird. Grundlage der Versendung/Beförderung muss deshalb ein Umsatz i.S.d. UStG sein.

Es genügt nicht, dass eine Versendung/Beförderung -- erst bei Hinzutreten weiterer Umstände wie z.B. die Billigung des zugesandten Gegenstands durch den Kunden -- zu einem Umsatz i.S.d. UStG führen könnte.

3.§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung (Lieferung oder sonstige Leistung) und Gegenleistung voraus. Das kann zwar auch ein unwirksamer Kaufvertrag sein, wenn er tatsächlich erfüllt wird. Bei einer unbestellt zugesandten Ware fehlt es jedoch bis zur Billigung an einem Leistungsaustausch in diesem Sinn, denn erst die Billigung bewirkt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Lieferung der Ware und dem Kaufpreis.

4. Damit korrespondiert auch die Beantwortung der Frage, wann denn bei einem „Kauf auf Probe” die Verfügungsmacht verschafft wird. Letzteres setzt die Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag voraus. Die Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, ist i.d.R. -- aber nicht notwendig -- mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentum verbunden. Wird eine Ware unbestellt zur Ansicht zugesandt, die ganz offensichtlich kein Geschenk sein soll, soll der Empfänger nicht wie ein Eigentümer beliebig damit verfahren.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 06.12.2007, V R 24/05

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