Rz. 96

Der zentrale Vorteil der Kapitalflussrechnung liegt darin, dass sich die angebotenen Informationen auf zugrunde liegende Ein- und Auszahlungen beziehen, die kaum abschlusspolitisch überformt werden können.[1] Auch zusätzlich einbezogene Beträge kommen daher kaum in Betracht. Schätzungen und Unsicherheiten fließen bei der derivativen Ableitung der Kapitalflussrechnung ausschließlich im Zusammenhang mit bilanzierten und bewerteten Posten im Abschluss in die Datenbasis ein, sodass zunächst von einer hohen Verlässlichkeit der Informationen auszugehen ist.

 

Rz. 97

Eine Einschränkung bewirken sachverhaltegestaltende Maßnahmen zur Veränderung der Cashflow-Größen, wie sie etwa bei gezielten Änderungen des Working Capital erfolgen können. Zudem ergibt sich hinsichtlich der Darstellung ein abschlusspolitisches Potenzial. So wird bei der zugrunde gelegten Fondsabgrenzung einerseits mit verschiedenen Definitionen gearbeitet und andererseits werden bei der Zuordnung von erhaltenen und gezahlten Zinsen und Dividenden die Wahlrechte einiger Rechnungslegungsnormen genutzt. Weitere Schwierigkeiten bereiten insbesondere die unterschiedlichen Cashflow-Herleitungen und die in Teilbereichen differierenden Zuordnungen. So ist z. B. das von vielen Leasingunternehmen praktizierte Bilanzierungsvorgehen, die Veränderung der Finanzierungsforderungen als Investitionen auszuweisen, als problematisch anzusehen. Daneben finden zahlreiche nicht normierte Zwischengrößen Verwendung.[2]

 

Rz. 98

Empirisch kann das Ausmaß der Überformungen z. B. bei der Umstellung von HGB auf IFRS betrachtet werden. Immerhin 31 % aller Unternehmen, die in den Jahren 2004 – 2006 auf IFRS umgestellt haben und im DAX, MDAX oder SDAX notiert sind, bieten eine Überleitung der Kapitalflussrechnung im Rahmen der Erläuterung der Auswirkungen der Erstanwendung. Generell überrascht diese vergleichsweise hohe Zahl zunächst, da einerseits die Kapitalflussrechnung nur Finanzflüsse aufzeigt, deren Vorteil es ja gerade ist, dass Bewertungsspielräume diese nicht verändern können. Somit können auch reine Umbewertungsmaßnahmen keine Auswirkungen auf die Kapitalflussrechnung haben. Andererseits gilt gerade die Kapitalflussrechnung nach IAS 7 sowohl als Vorbild für die deutsche Regelung im DRS 2 als auch für die nach US-GAAP. Gleichwohl kommt es bei einigen Unternehmen zu Unterschieden, die primär bedingt sind durch

  • eine andere Definition des zugrunde liegenden Fonds, d. h. inwieweit neben den liquiden Mitteln noch kurzfristige Wertpapiere mit einbezogen werden,
  • Änderungen des Konsolidierungskreises, sodass sich die Abbildungsbasis verändert hat, und
  • Umpositionierungen von Zinszahlungen, Leasinggeschäften sowie weiteren Ein- und Auszahlungen.
 

Rz. 99

Bei Letzterem wird der ausgewiesene Liquiditätsbestand im Gegensatz zu den ersten beiden Gründen nicht verändert, sondern es kommt nur zu Verschiebungen zwischen den dargestellten Positionen Cashflow aus operativem Geschäft und Cashflow aus der Investitionstätigkeit. Das Ausmaß der Unterschiede stellt sich wie folgt dar:[3]

Abb. 13: Auswirkungen der Überleitung des Cashflows aus operativer Tätigkeit von HGB/US-GAAP auf IFRS

 

Rz. 100

Im Durchschnitt liegen die Änderungen bei –1 %, die Spannbreite ist jedoch erstaunlich groß. So verringert sich der Cashflow bei der Jungheinrich AG um 79 % und bei der Deutschen Euroshop AG um 25 %. Dagegen weisen die Dürr AG (mit Verweis auf umgegliederte Zinszahlungen) und die Deutz AG deutlich höhere Cashflow-Werte nach IFRS aus. Letzteres wird wie folgt kommentiert:

Die wesentlichen Änderungen in der Kapitalflussrechnung betreffen den geänderten Ausweis von nach IAS 38 aktivierungsfähigen Entwicklungskosten im Cashflow aus Investitionstätigkeit und gezahlten Zinsen im Cashflow aus Finanzierungstätigkeit. (Deutz AG, GB 2005)

 

Rz. 101

Es zeigt sich, in welchem Maße auch Kapitalflussrechnungen von bilanzpolitischen Entscheidungen berührt sein können, die durch die "substance over form"-Regel in dem System nach IFRS Einschätzungsspielräume bezüglich der Gliederung und des Ausweises zulassen. Somit sollten sich Analysten vor überbetrieblichen Vergleichen die genaue Zusammensetzung des Cashflows aus operativer Tätigkeit genau ansehen, um Fehleinschätzungen zu vermeiden.

 

Rz. 102

Die Verlässlichkeit der Kapitalflussrechnung dürfte dadurch nicht grundsätzlich eingeschränkt werden, da durch eine sinnvolle Aufbereitung – in Form von einfachen Umsortierungsmaßnahmen – abschlusspolitische Verzerrungen in der Regel rückgängig gemacht werden können.

 

Rz. 103

Zusammenfassend kann mit der Kapitalflussrechnung intern wie extern die finanzielle Lage des Unternehmens und damit die Wirkung von Unternehmensstrategien und von eingetretenen Risiken sowie letztlich die Solvenz eingeschätzt werden. Diese Informationen ermöglichen eine zielgerichtete Überwachung der nachhaltigen finanziellen und erfolgsorientierten Unternehmensentwicklung. Wie der Jahres- bzw. Konzernabschluss bedarf aber auch die Kapitalflussrechnung einer tiefer ge...

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