Rz. 144

Durch die Orientierung an der Informationsfunktion und die übergeordnete Stellung der Generalnorm war und ist Bilanzpolitik nach deutschem Verständnis nach den IFRS qua Definition ausgeschlossen (Rz. 3a). Offene und verdeckte Wahlrechte sollen vom Bilanzierenden so genutzt werden, dass die bestmögliche (tatsachengetreue) Abbildung für die Adressaten herauskommt. Gleichwohl ist auch dem IASB bewusst, dass Menschen mit Eigeninteressen am Werk sind, die diese klaren Vorgaben und ihre Informationsvorsprünge bewusst ausnutzen, um doch – zumal extern kaum erkennbar – IFRS-Abschlüsse zu gestalten. Daher führte das Improvement Project vom Dezember 2003 zu einer deutlichen Reduzierung der vormals weiten offenen Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte. Die bedeutendsten Wahlrechte lagen nach Verabschiedung des Improvement Projects in der Wahl zwischen der Anschaffungs- oder Herstellungskostenmethode und der Neubewertungsmethode für das Sachanlagevermögen und unter bestimmten Bedingungen für das immaterielle Vermögen, der Wahl zwischen der Anschaffungs- oder Herstellungskostenmethode und dem beizulegenden Zeitwert für Finanzinvestitionen und Beteiligungen sowie dem Wahlrecht bei der Erfassung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste aus leistungsorientierten Pensionsplänen. Aufgrund von Offenlegungsvorschriften in den notes kann bei Anwendung der Neubewertungsmethode eine Abstimmung des Ergebnisses sowie der Vermögens- und Kapitalstruktur bei hypothetischer Bewertung zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten durchgeführt werden. Ebenso ließ sich bei der seinerzeit nicht vollständigen erfolgswirksamen Erfassung der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste die Höhe der Pensionsverpflichtung ableiten, die sich bei vollständiger erfolgswirksamer Erfassung der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste eingestellt hätte. Vor dem Hintergrund des Bestrebens der Jahresabschlussanalyse bilanzpolitische Maßnahmen als solche zu entlarven und einen ungeschönten Jahresabschluss zu generieren, waren damit in der Phase unmittelbar nach dem Improvement Project den Möglichkeiten der Bilanzpolitik mit offenen Wahlrechten in Bilanzierung, Bewertung und Ausweis bei IFRS insgesamt (enge) Grenzen gesetzt.

 

Rz. 145

Im Anschluss hieran setzte jedoch eine gewisse Tendenz ein, in Einzelfällen zusätzliche offene Wahlrechte in Bilanzierung und Bewertung zu gewähren, sodass die normwidrige Möglichkeit der Jahresabschlusspolitik mit offenen Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten wieder eine etwas größere Bedeutung gewinnt. Hierbei ist auch zu beachten, dass für diese Wahlrechte zumeist keine Anhanginformationen vorgeschrieben sind, unter deren Verwendung eine Überleitung auf die Bilanz- und Ergebniseffekte nach der jeweils alternativen Rechnungslegungsmethode möglich ist.

Die Motive für die Einräumung der einzelnen Wahlrechte sind dabei durchaus unterschiedlich. So ist die Gewährung des Wahlrechts zur Anwendung der Full-Goodwill-Methode in der Kapitalkonsolidierung sicherlich in erster Linie auf entsprechende konzeptionelle Überlegungen zur konsequenten Umsetzung der Einheitstheorie zurückzuführen.[1] Die Equity-Methode zur Bewertung der Beteiligungen an Tochterunternehmen, Gemeinschaftsunternehmen und assoziierten Unternehmen im separaten Einzelabschluss wurde wieder zugelassen, da die nach einigen landesrechtlichen Normen vorgeschriebenen separaten Einzelabschlüsse als einzigen Unterschied zu den zuvor gültigen IFRS–Rechnungslegungsnormen die Anwendung der Equity-Methode zur Abbildung dieser Beteiligungen zwingend vorschreiben.[2]

Demgegenüber sind die in den neuesten IFRS-Standards IFRS 15 und IFRS 16 enthaltenen Wahlrechte lediglich ein Ausfluss von Praktikabilitäts- und Wesentlichkeitsüberlegungen.

Noch nicht abschließend beantwortet werden kann die Frage, welche materiellen Auswirkungen die zusätzlich enthaltene Zwecksetzung des Conceptual Framework, die Abschlussersteller bei der Auswahl geeigneter Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte zu unterstützen, haben wird. Dennoch wird man tendenziell davon ausgehen können, dass Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte in der Zukunft voraussichtlich eher eingeschränkt werden dürften, da die Einräumung von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten zur Abbildung eines bestimmten Phänomens generell die Vergleichbarkeit von IFRS-Abschlüssen beeinträchtigt.[3]

 

Rz. 146

Die als Spezifikum der internationalen Rechnungslegung nach IFRS identifizierten verdeckten Wahlrechte wirken sich vor allem bei der Aktivierung selbst erstellter immaterieller Vermögenswerte, der Aktivierung und Bewertung latenter Steuern, der Feststellung und Ermittlung von Wertminderungen im langfristigen Vermögen (einschließlich goodwill), der Bewertung von Finanzinstrumenten, der Bewertung von Kundenverträgen und der Abbildung von Leasingverträgen aus. Im Gegensatz zu den offenen Wahlrechten sind die verdeckten Wahlrechte dadurch gekennzeichnet, dass der Bilanzierende – in dem durch die Informations...

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