Rz. 602

Verfahrensfehler sind Verstöße gegen gesetzliche oder satzungsmäßige Bestimmungen, die das Zustandekommen eines Gesellschafterbeschlusses betreffen:

  • Fehler bei der Einberufung der Gesellschafterversammlung, insb. Nichteinhaltung der Einladungsfrist[1] und fehlerhafte Ladung, z. B. Einladung durch gewöhnlichen Brief oder E-Mail statt Einschreiben, sofern die Einladung nicht nachweislich zugegangen ist;[2]
  • Unzulässigkeit des Versammlungsorts[3] und
  • Fehler bei der Durchführung der Gesellschafterversammlung, insb.

    • unberechtigte Nichtzulassung von Gesellschaftern;[4]
    • Fehler bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses;[5]
    • unverhältnismäßige Ordnungsmaßnahmen;[6]
    • Verletzung des Rederechts[7] sowie
    • unberechtigte Verweigerung von Auskünften.[8]
 

Rz. 603

Besonderheiten gelten bei – unter der Voraussetzung einer entsprechenden Satzungsregelung zulässigen[9] – Online-Teilnahme an einer Gesellschafterversammlung: Eine Anfechtung kann entsprechend § 243 Abs. 3 AktG nicht gestützt werden auf eine durch technische Störungen verursachte Verletzung von Rechten, die auf elektronischem Wege wahrgenommen worden sind, es sei denn, der Gesellschaft wäre grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen. Die Beweislast dafür liegt beim Anfechtungskläger.

 

Rz. 604

Nicht jeder Verfahrensfehler macht die gefassten Beschlüsse anfechtbar. Verfahrensfehler rechtfertigen dann keine Anfechtung, wenn sie für das Ergebnis der Beschlussfassung nicht relevant waren.[10] Relevanz ist dabei nicht i. S. v. Kausalität zu verstehen, sondern als Ergebnis einer wertenden Betrachtung, die sich am Zweck der verletzten Norm orientiert. Entscheidende Frage ist, ob es bei wertender Betrachtung möglich oder ausgeschlossen ist, dass sich der Verfahrensfehler auf das Beschlussergebnis ausgewirkt hat. Letztlich kommt es danach auf die Bedeutung eines Verfahrensfehlers an. Bei der Verletzung eines Minderheitenrechtes ist die Relevanz stets zu bejahen.[11]

 

Anfechtbarkeit unterstellen

Ob ein Gericht die Relevanz bejahen oder verneinen wird, ist angesichts der wertenden Betrachtung schwer vorhersehbar. Deshalb sollte in der Praxis bei jedem Mangel, der nicht nur völlig unerheblich ist, von Relevanz und damit von Anfechtbarkeit ausgegangen werden.

 

Rz. 605

Bei der Verletzung von Informationspflichten entscheidet der Streitgegenstand über die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage. Geht es um den Beschluss, mit dem die eine Information verweigert wurde (§ 51a Abs. 2 Satz 2 GmbHG), so scheidet die Anfechtungsklage wegen des spezielleren Verfahrens nach § 51b GmbHG aus. Eine Anfechtungsmöglichkeit verbleibt jedoch in Bezug auf den Beschluss, für dessen Beurteilung der Gesellschafter die Information benötigt hätte – in diesem Verfahren stellt die Informationspflichtverletzung nämlich nur eine inzident zu beantwortende Vorfrage dar.[12] Relevant ist die Information immer dann, wenn ein vernünftig denkender Gesellschafter sie für die sachgerechte Beurteilung des Beschlussgegenstandes für erforderlich halten würde.[13]

 

Rz. 606

Ausgeschlossen ist im Aktienrecht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG die Anfechtung von Beschlüssen, wenn es um die Ermittlung, Höhe oder Angemessenheit von Ausgleich, Abfindung, Zuzahlung oder sonstigen Kompensationen geht und das Gesetz für solche Bewertungsrügen ein Spruchverfahren vorsieht.[14] Im GmbH-Recht kann dies allenfalls bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen mit einer abhängigen GmbH, Umwandlungsvorgängen und SE-Gründungen unter Beteiligung einer GmbH zur Anwendung gelangen.[15] Geht man allerdings mit der wohl h.Lit. davon aus,[16] dass bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen die Zustimmung aller Gesellschafter einer beherrschten GmbH notwendig ist, erübrigt sich eine gerichtliche Überprüfung der Kompensation – eine allseitige Zustimmung trägt die Richtigkeit der Ausgleichsmaßnahme bereits in sich, die Minderheit kann die Bedingungen schließlich selbst und frei aushandeln.[17] Lässt man demgegenüber einen satzungsändernden Mehrheitsbeschluss genügen und wendet die aktienrechtlichen Kompensationsregeln aus §§ 304, 305 AktG analog an,[18] sollte auch das Spruchverfahren entsprechend zur Anwendung kommen.[19] Unabhängig davon, ob man die Gesellschafter dann hinsichtlich der Angemessenheit der Kompensation auf ihre Informationsrechte aus § 51a GmbHG verweist oder die Berichts- und Prüfungspflichten der §§ 293a ff. AktG für entsprechend anwendbar hält,[20] müsste die Anwendbarkeit des Spruchverfahrens dann konsequenterweise wie im Aktienrecht gehandhabt werden: Verweigert die Geschäftsführung in der Gesellschafterversammlung berechtigte Informationen völlig und erteilt nicht lediglich eine unvollständige, unrichtige oder unzureichende Auskunft, bleibt es beim Anfechtungsrecht.[21] Da die Verfahrensregeln des Spruchverfahrens ersichtlich darauf ausgelegt sind, eine Vielzahl von Berechtigten bei Publikumsgesellschaften zu einer gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit ihrer Kompensationsleistungen zu verhelfen, kann einer analog...

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