Rz. 535

Die Tatsache, dass ein Gesellschafter bei einer Abstimmung einen Interessenskonflikt hat oder haben könnte, führt nicht per se zum Ausschluss des betroffenen Gesellschafters vom Stimmrecht. Stimmverbote bestehen nur in eng auszulegenden Ausnahmen,[1] die das GmbHG in § 47 Abs. 4 GmbHG vorsieht:

  • Entscheidung der Gesellschafterversammlung über die Entlastung eines Gesellschafters, insb. als Geschäftsführer, Aufsichtsrat oder Beirat. Das Stimmverbot gilt nicht nur für die "eigene" Entlastung, sondern auch für die Beschlüsse über die Entlastung von Mit-Geschäftsführern oder anderen Organmitgliedern, sofern – was der Regelfall sein wird – eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht kommt;[2]
  • Beschluss über die Befreiung eines Gesellschafters von einer Verbindlichkeit gleich welcher Art, insb. durch Verzicht, Vergleich, Aufrechnung, Erlass oder Stundung;
  • Beschluss, der die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit einem Gesellschafter betrifft, wobei die eigene Bestellung zum Geschäftsführer, Aufsichtsrat oder Beirat ebenso wie die Festlegung der Anstellungsbedingungen und die Abberufung oder Kündigung nach einhelliger Meinung nicht darunter fällt.[3] Auch für Einziehungsbeschlüsse gilt kein Stimmverbot, sofern nichts anderes in der Satzung geregelt ist. Das Stimmverbot gilt auch für Rechtsgeschäfte zwischen einer Tochtergesellschaft der Gesellschaft und einem Gesellschafter;
  • Beschluss, der die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegenüber einem Gesellschafter betrifft.
 

Kein Stimmverbot

Das Stimmverbot greift nicht ein, wenn alle Gesellschafter vom Beschlussgegenstand betroffen sind. Der einzige Gesellschafter einer Ein-Personen-GmbH unterliegt nie einem Stimmverbot.[4]

 

Rz. 536

Das Stimmverbot erfasst nicht nur den durch den Beschluss Betroffenen selbst, sondern auch Stimmrechte, die er als Vertreter eines Dritten ausübt, sowie Dritte, die als Vertreter des betroffenen Gesellschafters das Stimmrecht ausüben. Ist ein Vertreter vom Stimmrecht ausgeschlossen, kann er auch nicht einen Untervertreter mit der Ausübung des Stimmrechts betrauen.[5]

 

Rz. 537

Betrifft das Stimmverbot den Geschäftsführer einer juristischen Person, kann die Person ihr Stimmrecht durch andere Vertreter ausüben lassen. Betrifft das Stimmverbot den Gesellschafter einer juristischen Person, greift es auch für die juristische Person als solche, wenn der Betroffene innerhalb der Gesellschaft maßgeblichen Einfluss hat, z. B. als Mehrheitsgesellschafter.[6]

 

Stimmverbot (Beispiele)

V ist Gesellschafter einer GmbH, der eine Forderung gegen V zusteht.

  1. Bei der Beschlussfassung über die Befreiung des V von seiner Verbindlichkeit ist dieser nicht stimmberechtigt.
  2. V vertritt in der Gesellschafterversammlung seine Tochter T. Bei der Beschlussfassung über die Befreiung des V von seiner Verbindlichkeit zählen die Stimmen von V und T nicht mit. V ist auch nicht berechtigt, seinem Sohn S Untervollmacht zu erteilen.
  3. V ist nicht selbst anwesend, sondern lässt sich von seinem Sohn S vertreten. S ist hinsichtlich der Stimmen von V nicht stimmberechtigt.
 

Rz. 538

Stehen Geschäftsanteile mehreren Personen gemeinschaftlich zu (bei Personengesellschaften) oder stehen sie im gemeinschaftlichen Vermögen von Miterben, Ehegatten in Gütergemeinschaft oder Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft und richtet sich ein Stimmverbot (nur) gegen einen der Teilhaber, gilt Folgendes: Das Stimmverbot erfasst auch die Personengesellschaft und die übrigen Teilhaber, wenn der betroffene Teilhaber die gemeinschaftliche Stimmabgabe maßgeblich beeinflussen kann.[7] Eine bloß faktische Einflussmöglichkeit aufgrund von persönlichen Beziehungen (z. B. bei Ehepartnern oder Abkömmlingen) reicht nicht, um ein Stimmverbot zu rechtfertigen, es sei denn, es wäre im Einzelfall ein Umgehungs- oder Missbrauchssachverhalt nachweisbar.[8]

 

Rz. 539

§ 47 Abs. 4 GmbHG ist dispositiv, d. h. abweichende Regelungen sind im Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft möglich. Zulässig ist die Ausdehnung des Stimmverbotes über die Fälle des § 47 Abs. 4 GmbHG hinaus,[9] beispielsweise die Erweiterung des betroffenen Personenkreises auf Angehörige eines vom gesetzlichen Stimmverbot Betroffenen.[10] Auch eine Einschränkung des § 47 Abs. 4 GmbHG ist nach h. M. zulässig, allerdings nur in Bezug auf die Vornahme eines Rechtsgeschäftes gegenüber einem Gesellschafter.[11] Zwingend ist hingegen das Stimmverbot bei der Entlastung und bei der Befreiung von einer Verbindlichkeit sowie bei allen Maßnahmen, die aus wichtigem Grund gegen einen Gesellschafter ergriffen werden.[12]

 

Rz. 540

Auch die Bindung an die gesellschafterliche Treuepflicht kann zu einem Stimmverbot führen. Dabei kann dahin stehen, ob ein Verstoß gegen die Treuepflicht nur zur Nichtigkeit der treuwidrig abgegeben Stimmen führt oder ob bereits die Stimmabgabe unzulässig war. Jedenfalls ist der betreffende Beschluss anfechtbar, wenn die treuwidrig abgegebene Stimme als wirksam berücksichtigt wurde und sich auf das Beschlussergebnis ausgewirkt hat.[13] Eine ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge