Rz. 17

Das aus § 246 Abs. 1 HGB abgeleitete Vollständigkeitsgebot verlangt die genaue Erfassung aller vorhandenen Vermögensgegenstände und Schulden, die in die Bilanz aufzunehmen sind. "Das Inventar muss den Nachweis darüber ermöglichen, dass die bilanzierten Bestände vollständig aufgenommen worden sind".[1] Entscheidend ist nicht (nur) die rechtliche Zugehörigkeit, sondern auch die wirtschaftliche Zurechnung von Vermögensgegenständen und Schulden.

Über die Bilanzierbarkeit hinaus sind auch bereits abgeschriebene Anlagegüter, Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten und Ähnliches sowie schwebende Geschäfte und Haftungsverhältnisse bestandsmäßig aufzunehmen.[2]

Ausgenommen von der Aufnahme ins Bestandsverzeichnis sind lediglich geringwertige Anlagegüter, wenn sie kleinwertig sind (nicht mehr als 250 EUR netto AK/HK) und sie im Jahr der Anschaffung oder Herstellung voll als Aufwand verrechnet werden. Weiterhin müssen geringwertige Anlagegüter mit einem Wert zwischen 250 EUR und 800 EUR netto ebenfalls nicht aufgenommen werden, wenn sie auf einem besonderen Konto oder in einem besonderen Verzeichnis erfasst werden und in voller Höhe im Jahr der Anschaffung bzw. Herstellung abgeschrieben werden.[3] Entsprechendes gilt für Anlagegüter, die in einem Sammelposten gem. § 6 Abs. 2a EStG erfasst werden. Ausgenommen von der Aufnahme in das Bestandsverzeichnis sind auch bewegliche Anlagegüter, für die zulässigerweise ein Festwert[4] gebildet worden ist.

 

Rz. 18

Immaterielle Vermögensgegenstände, die entgeltlich erworben worden sind, sind aufgrund des allgemeinen Vollständigkeitsgebots zu aktivieren. Sie werden grundsätzlich anhand von Belegen (Verträgen) erfasst und durch ein Bestandsverzeichnis oder eine Kartei/Datei nachgewiesen. Durch die Führung eines permanenten[5] Bestandsverzeichnisses bzw. einer entsprechenden Kartei/Datei oder die Aufnahme der für die Inventarfunktion benötigten Informationen in die Sachkonten kann die jährliche Erstellung des Bestandsverzeichnisses mit Hilfe von Belegen ersetzt werden. Die Bestände lassen sich dann durch mengen- und wertmäßige Fortschreibung ermitteln. Selbstgeschaffene immaterielle Vermögenswerte des Anlagevermögens können, von Ausnahmen abgesehen, in die Bilanz aufgenommen werden (§ 248 Abs. 2 HGB). Mindestens bei Ausübung des Aktivierungswahlrechts sind diese auch bei der Inventur aufzunehmen, es entspricht aber kaufmännischer Gepflogenheit, alle selbsterstellten Vermögensgegenstände zwecks Bestandskontrolle aufzunehmen.[6] Das gilt aber nicht für die gem. § 248 Abs. 2 HGB von der Aktivierung ausgeschlossenen selbsterstellten Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten und vergleichbare immaterielle Vermögenswerte des Anlagevermögens.

 

Rz. 19

Bei der Inventarisierung von Rückstellungen, Verbindlichkeiten und Haftungsverhältnissen ist zu beachten, dass Rückstellungen aufgegliedert und die Einzelposten durch geeignete Unterlagen nachgewiesen werden. Dazu bedarf es auch in einer sog. Vertragsinventur einer Erfassung der Geschäftsrisiken, sowohl jener aus abgeschlossenen, z. B. Gewährleistungsrisiken, wie auch schwebenden Geschäften, z. B. drohende Verluste. Insbesondere ist zum Bilanzstichtag für Zwecke der Pensionsrückstellungsbildung ein Verzeichnis zu erstellen, in dem die Pensionsberechtigten, mit persönlichen Daten wie Alter, Geschlecht, Eintrittsdatum, Zusagedatum, Pensionsalter, und die Höhe der Pensionsansprüche erfasst sind.[7] Für Bürgschaften und sonstige Haftungsverhältnisse besteht ebenfalls eine Inventarisierungspflicht, wenn die gesetzlichen Vermerk- und Angabepflichten zu erfüllen sind.[8]

 

Rz. 20

Ob aktive und passive Rechnungsabgrenzungsposten inventurmäßig aufzunehmen sind kann streitig sein, stellen sie doch einen Verrechnungsposten, keinen Vermögensgegenstand oder Schuldposten dar. Zweckmäßig dürfte es jedenfalls sein, bei der Vertragsinventur den für Rechnungsabgrenzungen wesentlichen Zeitbezug der Aufwands- und Ertragswirksamkeit zu erfassen.

 

Rz. 21

Die Forderung nach Vollständigkeit verlangt nicht nur eine komplette mengenmäßige Erfassung unter Vermeidung von Doppel- und Nichterfassungen, sondern auch eine umfassende Ermittlung der Qualitäten der Inventurgegenstände, wie Art, Zustand, Mängel etc., insbesondere aller wertbestimmenden Eigenschaften.[9]

[2] Petersen/Zwirner, in Castan/Heymann/Müller/Ordelheide/Scheffler, Beck´sches HdR, 2015, A 210 Rz. 35, m. w. N.
[3] Vgl. R 5.4 Abs. 1 EStR. Die steuerrechtlichen Schwellenwerte sind zwar grundsätzlich handelsrechtlich nicht verbindlich, doch dürften sich entsprechende GoB gebildet haben.
[6] Vgl. auch Petersen/Zwirner, in Castan/Heymann/Müller/Ordelheide/Scheffler Beck´sches HdR, 2015, A 210 Rz. 35, m. w. N.
[7] Auch einkommensteuerlich gefordert in R 6a Abs. 18 EStR.
[9] Das ergibt sich auch aus § 240 Abs. 1 HGB, der ein "genaues" Verzeichnis ...

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