Zusammenfassung

 
Überblick

Infolge der zunehmenden Internationalisierung und weltweiten Arbeitsteilung ist zunehmend festzustellen, dass Deutschland nicht nur der ‹Exportweltmeister› ist, sondern auch bereits kleinere und mittelständische Unternehmen mittels Direktinvestitionen (in ausländische Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten) im Ausland tätig werden. Hierfür gibt es unterschiedliche Gründe. Zu nennen sind beispielsweise Standortvorteile, die Nähe zu Absatzmärkten, Rohstoffen oder Arbeitskräften, der Zwang eines Endkunden (just in time Lieferung) sowie Steuervorteile bzw. -anreize. Dies führt zwangsläufig dazu, dass betriebliche Einheiten und Aufgaben, die bislang in Deutschland ansässig waren bzw. hier getätigt wurden auf ausländische Töchter oder Betriebsstätten übertragen werden oder parallele Strukturen aufgebaut werden.

In diesem Rahmen gehen zwangsläufig stille Reserven oder zumindest Geschäftschancen auf ausländische Einheiten über.

Der Gesetzgeber hat darauf reagiert. Die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen ist ein wesentlicher Teil der sog. Gegenfinanzierung der Steuerentlastungen (Absenkung der tariflichen Unternehmensbesteuerung) durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008. Es handelt sich insoweit um ein Sonderthema der Verrechnungspreisfestlegung und -prüfung. Der Beitrag soll sowohl die Beurteilung der Finanzverwaltung als auch der Wirtschaft/der beratenden Berufe darstellen und angesichts vielfältiger Widersprüche Hinweise für die Praxis geben.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Gesetzliche Regelungen für Funktionsverlagerungen ergeben sich aus § 1 Abs. 3 AStG sowie der "Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 AStG in den Fällen der grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung vom 12.8.2008".

Im Rahmen des Amtshilfe-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes 2013 wurde der bisherige Anwendungsbereich des § 1 AStG "Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Kapitalgesellschaften" allgemein auf Personengesellschaften und Betriebsstätten ausgedehnt.

Mit dem AbzStEntModG wurde die Regelung in § 1 Abs. 3b AStG (Wirkung ab 1.1.2022) überführt. Dabei ergeben sich im Wesentlichen die nachfolgenden Änderungen:

  • Eine Funktionsverlagerung kann auch vorliegen, wenn nur isoliert Teilbereiche in Zusammenhang mit der Funktion verlagert werden ("Teilfunktionsverlagerung").
  • Die Escape-Klauseln der Transferpaketbetrachtung wurden reduziert.
  • Die Preisanpassungsklausel wurde erweitert und an die OECD-Richtlinien angepasst.

Dies machte auch eine Überarbeitung der Rechtsverordnung erforderlich. Diese erfolgte am 18.10.2022 und wird nachfolgend mit FVerlV 22 abgekürzt. Die Neufassung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft (§ 10 FVerlV 22). Gem. § 9 FVerlV 22 ist die Verordnung erstmals auf Veranlagungszeiträume anzuwenden, die nach dem 31.12.2021 beginnen. Nach der Begründung zum Referentenentwurf soll sie Anwendung auf alle vollendeten Vorgänge (Funktionsverlagerungen) in Veranlagungszeiträumen finden, die nach dem 31.12.2021 beginnen. Auf davor vollendete Funktionsverlagerungen findet die Verordnung in der zuvor geltenden Fassung Anwendung.

Die ursprüngliche Auffassung der Finanzverwaltung ergibt sich aus dem BMF-Schreiben v. 13.10.2010, IV B 5 – S-1341/08/10003, BStBl 2010 I S. 774, den sog. Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung (nachfolgend als VWGFVerl abgekürzt). Diese Verwaltungsgrundsätze gelten für Jahre bis einschließlich 2021 weiterhin, vgl. Teil I der Verwaltungsgrundsätze 2021: BMF, Schreiben v. 14.7.2021, IV B 5 – S 1341/19/10017 :001, BStBl 2021 I S. 1098. Eine Anpassung an die gesetzlichen Neuregelungen erfolgte mit den Verwaltungsgrundsätzen Verrechnungspreise 2023 (BMF, Schreiben v. 6.6.2023, IV B 5 – S 1341/19/10017 :003, BStBl 2023 I S. 1093, dortiges Kapitel III Abschnitt I, Rz. 3.87 – 3.120). Nachfolgend werden diese als VWG VP 2023 abgekürzt.

Praxishinweise:

Die neuen VWG VP sind grundsätzlich auf alle offenen Fälle und damit rückwirkend anzuwenden. Die in Kapitel I enthaltenen Aussagen zur Funktionsverlagerung sind dagegen wegen der zum 1.1.2022 neu gefassten FVerlV nur auf Funktionsverlagerungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2021 verwirklicht werden.

In den Verwaltungsgrundsätzen Verrechnungpreise 2023 wurden die äußert umfangreichen, oft lehrbuchhaften Ausführungen der Finanzverwaltung des Jahres 2010 vom Umfang auf ca. 1/5 eingedampft. Es lohnt sich in der Praxis daher häufig, zur Beurteilung auch die VWGFVerl mit zu prüfen.

Für verfahrensrechtliche Fragen sind die Verwaltungsgrunsätze 2020 v. 3.12.2020 zu beachten (IV B 5 –S 1341/19/10018 :001, BStBl 2020 IS. 1325). Zu diesen Fragen der Dokumentation einer Funktionsverlagerung sowie den evtl. Rechtsfolgen bei Fehlern (Schätzung, Strafzuschläge) vgl. auch den gesonderten Beitrag "Funktionsverlagerung – Preisanpassungsklausel und Dokumentation".

Entsprechend des Aufbaus und der Intention der Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise wird hierbei so weit wie möglich auf die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2...

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