Leitsatz

Bei Anwendung der EU-rechtlichen Prioritätsregeln kann der inländische Anspruch auf Kindergeld nicht wegen eines ausländischen Anspruchs gem. § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG versagt werden. Bezieht der Vater von in Portugal bei der Mutter lebenden Kindern sog. Arbeitslosengeld II, besteht gem. Art. 68 Abs. 1a VO (EG) Nr. 883/2004 kein Anspruch auf deutsches Kindergeld, wenn die Kindesmutter in Portugal eine Beschäftigung ausübt.

 

Sachverhalt

Aus der ersten Ehe des Klägers stammen zwei Kinder, welche bei der erwerbstätigen Mutter in Portugal leben. Die Kindesmutter erhält in Portugal für beide Kinder einen Familienzuschlag. Seit Dezember 2006 lebt der Kläger mit seiner zweiten Ehefrau in Deutschland. Seit dem 15.9.2011 geht der Kläger einer unselbständigen Tätigkeit nach. Die Familienkasse (FK) gewährte für die Zeit vom 1.1.2009 bis 30.4.2010 sog. Differenzkindergeld i. H. v. 142,48 EUR mtl. je Kind. Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, er sei ab Mai 2010 nach § 62 EStG in Deutschland kindergeldberechtigt. Der Anspruch auf Kindergeld sei auch nicht nach § 65 EStG ausgeschlossen, da diese Vorschrift durch den vorrangigen Art. 68 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 verdrängt werde.

 

Entscheidung

Das FG hat entschieden, dass die Ablehnung des Kindergeldes für den Zeitraum Mai 2010 bis einschließlich August 2011 rechtmäßig sei, da der sich ausschließlich auf den inländischen Wohnsitz begründen könnende Kindergeldanspruch des erwerblosen Kindesvaters gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO (EG) Nr. 883/2004 auch die Zahlung eines sog. Differenzkindergeldes an ihn ausschließt. Für den Zeitraum ab September 2011 hat das FG entschieden, dass der Anspruch des Klägers auf Differenzkindergeld nicht mit dem Hinweis auf eine vorrangige Berechtigung der Kindesmutter abgelehnt werden könne. Ein Anspruch auf Differenzkindergeld gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004 besteht nach Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit durch den Kindesvater aufgrund der nunmehr begründeten Zuständigkeit Deutschlands. Dieser Anspruch wird auch nicht aufgrund § 64 Abs. 2 EStG ausgeschlossen. Die fehlende Kindergeldberechtigung der in Portugal mit ihren Kindern in einem Haushalt lebenden Kindsmutter lässt sich durch die Vorschrift des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 weder fingieren noch ersetzen.

 

Hinweis

Die vom FG zugelassene Revision wurde von der FK eingelegt und wird bei dem BFH unter dem Az. III R 36/12 geführt. In diesem Verfahren muss der BFH die Frage klären, ob ein Vater mit Wohnsitz in Deutschland für seine in Portugal im Haushalt der Mutter lebenden Kinder Anspruch auf Kindergeld hat, oder ob die Kindesmutter gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 vorrangig kindergeldberechtigt ist.

 

Link zur Entscheidung

FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.05.2012, 12 K 12134/11

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