Angesichts der Komplexität der in IAS 38 enthaltenen Regelungen mag sich mancher das alte HGB-System zurückwünschen: Aktivierungspflicht für derivative und Aktivierungsverbot für originäre immaterielle Vermögenswerte. Bei näherer Betrachtung war aber auch dieses System nicht ganz so einfach. Die Grenzen zwischen derivativer und originärer Entstehung sind fließend, wie sich z. B. beim Customizing von Software zeigt.

 

Beispiel

Die Müller AG erwirbt nach konzeptionellen Vorstudien (Machbarkeitsüberlegungen etc.), die einen Aufwand von 10 TEUR verursachen, in 01 ERP-Software. Die Anschaffungskosten sind 200 TEUR.

Für das Customizing der Software fallen weitere Kosten von 800 TEUR an, teils intern, teils gegenüber Beratern. Außerdem entstehen Kosten von 100 TEUR für das Training der Anwender.

Die Müller AG möchte ein Urteil über die Aktivierung nach IFRS (die sie für kompliziert hält) und nach HGB (die sie für einfach hält).

Beurteilung

Nach IFRS ist der Sachverhalt einfach: auch originäre Aufwendungen sind zu aktivieren, soweit sie einerseits nicht in einer frühen konzeptionellen Phase (= Forschung) anfallen und andererseits technische Machbarkeit und Nutzen der Investition feststehen. Gemäß IAS 38.57 sind daher Aufwendungen von 1 Mio. EUR zu aktivieren. Vom Erfolg bzw. dem Nutzen der Investition wird man schon vor Customizing zulässigerweise ausgehen dürfen. Neben den konzeptionellen Kosten (IAS 38.54 ff.) sind lediglich die Kosten des Trainings (IAS 38.67) nicht ansetzbar.

Handelsrechtlich ist der Sachverhalt hingegen komplex; drei Auffassungen sind diskussionswürdig:

  • Aktivierungspflicht von 1 Mio. EUR, da die Kosten von 800 TEUR der Herstellung der Betriebsbereitschaft der angeschafften Software dienen und damit Anschaffungsnebenkosten sind.
  • Aktivierungspflicht von 200 TEUR, da nur dieser Teil auf den Erwerb der Software entfällt, also derivativen Charakter hat, Aktivierungswahlrecht für den verbleibenden Betrag.
  • Aktivierungspflicht von 0 EUR, da der eigentliche Vermögenswert (die angepasste Software) erst bei der AG (also originär) entsteht, die für 200 TEUR gelieferte Grundausführung lediglich einen Baustein in der Herstellung dieses Vermögenswerts bildet. Ein Aktivierungswahlrecht bestünde dann für 1 Mio. EUR.

Für die Steuerbilanz ist die erste Auffassung nach Ansicht des BMF maßgeblich.[1]

Schwierig kann die Abgrenzung von derivativer und originärer Entstehung auch bei der Einräumung von Rechten sein. Eine Anschaffung setzt begrifflich voraus, dass der Vermögenswert bereits vor dem Kauf bestanden hat. Anschaffung bedeutet: ein bestehender Vermögenswert wechselt vom alten zum neuen wirtschaftlichen Eigentümer. Bei enger Auslegung erfüllt die Einräumung von Lieferrechten durch den zu Beliefernden dieses Kriterium nicht. Wie im Handelsrecht dominiert aber auch in der IFRS-Praxis ein erweitertes Verständnis der Anschaffung, das ebenfalls die entgeltliche Einräumung eines Rechts umfasst.

 
Praxis-Beispiel

Die Wirtschaft "Zum Kölner" lässt sich (in einer Notlage!) Anfang 01 auf folgende Vereinbarung ein: Gegen eine Zahlung von 50 TEUR verpflichtet sie sich, ihr Bier in den nächsten fünf Jahren nur bei der Düsseldorf GmbH zu beziehen.

In 02 erwirbt die Dortmund AG die Düsseldorf GmbH. Im Rahmen des Unternehmenserwerbs geht auch das Bierbelieferungsrecht auf die Dortmund AG über.

Beurteilung

Nach wohl herrschender Auffassung liegt schon in 01 ein Erwerb (derivativer Zugang) eines Rechts vor, obwohl das Belieferungsrecht gar nicht von einem bestehenden Rechteinhaber auf einen neuen übertragen wird.

Zu einem (weiteren) Erwerb kommt es in 02. Im Rahmen des Unternehmenskaufs erwirbt die Dortmund AG auch den bereits bestehenden Belieferungsvertrag.

Im Bierbelieferungsbeispiel ist die Frage, ob wirklich ein derivativer Zugang vorliegt, ohne große Konsequenzen, da eine Aktivierung als Abgrenzungsposten zum gleichen Ergebnis führen würde.

[1] BMF, Schreiben v. 18.11.2005, IV B 2 – S 2172 – 37/05, BStBl I 2005, S. 1025.

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