Entscheidungsstichwort (Thema)

Führung von Mitarbeiterjahresgesprächen. Mitbestimmung des Betriebsrats. Schutzfunktion der Grundrechte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Einführung von Mitarbeiterjahresgesprächen handelt es sich um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

2. Die Mitbestimmung ist nicht nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausgeschlossen. Eine gesetzliche oder tarifliche Regelung in Bezug auf Mitarbeiterjahresgespräche besteht nicht.

3. Die von den Betriebspartnern abgeschlossene Betriebsvereinbarung über Mitarbeiterjahresgespräche verstößt nicht gegen Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wetzlar (Urteil vom 25.05.2011; Aktenzeichen 2 Ca 186/10)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 25.5.2011 – 2 Ca 186/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Führung von Mitarbeitergesprächen.

Die Beklagte ist ein Betrieb der Metall- und Elektroindustrie.

Die am XXX geborene Klägerin ist seit 1. August 1990 als Sachbearbeiterin bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36,4 Stunden zu einer Bruttomonatsvergütung von 2.556,31 EUR beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft Tarifbindung die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie des Landes H Anwendung. Die Beklagte hat in ihrem Betrieb das Entgeltrahmenabkommen eingeführt. Sie führt in ihrem Betrieb keine methodisch individuelle Leistungsbeurteilung gemäß § 8 ERA durch.

In Zusammenarbeit mit dem bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat erarbeitete diese die Einführung von Mitarbeiterjahresgesprächen, die von sämtlichen Mitarbeitern an Hand eines festgelegten Beurteilungskatalogs (Blatt 50 bis 59 der Akten) geführt werden sollen. Hierüber schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat am 15.11.2010 eine Betriebsvereinbarung (Blatt 65, 66 der Akten). Unter deren Nr. 3 ist geregelt, dass die Ergebnisse der Mitarbeitergespräche keinen Einfluss auf das Entgelt des Mitarbeiters/in haben. In Nr. 5 der Betriebsvereinbarung ist die Vertraulichkeit des Mitarbeitergesprächs geregelt. In der Personalabteilung werden die ausgefüllten Formblätter als Excel-Datei in einem separaten Verzeichnis, auf das niemand, außer einer Person im Personalwesen zur Kontrolle der Vollständigkeit, Zugriff hat, abgespeichert. Diese Datei darf niemandem, außer den jeweiligen Gesprächspartnern, zur Einsicht gestellt werden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte unterlaufe mit den Mitarbeiterjahresgesprächen die Regelungen von § 8 ERA. Die Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Zudem seien die Mitarbeiterjahresgespräche mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin unvereinbar.

Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts, Blatt 78 bis 79 der Akten, Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Spätestens mit Abschluss der Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 sei die Klägerin verpflichtet, die Durchführung der Mitarbeitergespräche zu dulden. § 8 ERA werde nicht unterlaufen da die Beklagte mit der Mitarbeiterbefragung keine Leistungszulagen vorbereiten oder ändern will. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG beziehe sich lediglich auf technische Einrichtungen und nicht auf die hier streitgegenständlichen Befragungen. Im übrigen sei der Betriebsrat mit der Datenspeicherung einverstanden.

Dieses Urteil wurde der Beklagten am 14. Juli 2011 zugestellt. Sie hat dagegen mit einem am 4.8.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 14.10.2011 am 7.10.2011 begründet.

Die Durchführung der Mitarbeiterjahresgespräche verstoße gegen § 4 Abs. 3 TVG, da eine Abweichung von dem tariflich vorgesehenen System der Leistungsbewertung nach § 8 ERA nicht gestattet sei. Die Beurteilungsmerkmale der Mitarbeiterjahresgespräche seien im wesentlichen identisch mit denen gemäß ERA Anlage A. Dies zeige, dass die getroffene Leistungsbeurteilung Einfluss auf die Leistungszulage haben wird beziehungsweise hat. Die Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 sei unwirksam, weil sie gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoße. Schließlich werde dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht hinreichend Rechnung getragen. Es liege auf der Hand, dass die Kritik an Vorgesetzten beziehungsweise auch an anderen Mitarbeitern mit Nachteilen für den Arbeitnehmer selbst verbunden sei. Deshalb seien derartige Fragen unzulässig. Auch das Grundrecht der Klägerin auf Meinungsfreiheit gemäß Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz, das die Freiheit eine Meinung nicht zu äußern (negative Meinungsfreiheit) einschließe, sei verletzt. Ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Beantwortung der Fragen im Zusammenhang mit dem bestehende...

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