Leitsatz

Unterlässt es ein Kindergeldberechtigter, der fortlaufend Kindergeld bezieht, der Familienkasse den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen mitzuteilen, und begeht er dadurch eine Steuerordnungswidrigkeit, so kann die Festsetzung des Kindergeldes nachträglich aufgehoben werden. Dabei ist der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung, die erst mit der letztmals zu Unrecht erlangten Kindergeldzahlung beginnt, gehemmt.

 

Normenkette

§ 31 Satz 3, § 62 Abs. 1, § 66 Abs. 2, § 68 Abs. 1, § 70 Abs. 2 EStG, § 169, § 171 Abs. 7, § 370 Abs. 1 und Abs. 4, § 378 Abs. 1 AO, § 31 Abs. 3 OWiG

 

Sachverhalt

Der Kläger bezog aufgrund eines Festsetzungsbescheids vom 17.2.2000 Kindergeld für seine Tochter. Zum 1.6.2004 meldete er sich nach Spanien ab, ohne dies der Familienkasse mitzuteilen. Danach hatte er im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt. Hiervon erfuhr die Familienkasse erst im Februar 2011. Sie stellte die Zahlungen ein und hob die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Juni 2004 bis Februar 2011 auf. Der Kläger nahm die Klage für Januar 2006 bis Februar 2011 zurück, sodass nur noch die Aufhebung des Kindergeldes für Juni 2004 bis Dezember 2005 strittig war.

Das FG gab der Klage statt (FG München vom 16.10.2012, 9 K 1226/12, Haufe-Index 3514859, EFG 2013, 135). Es war der Ansicht, für Juni 2004 bis Dezember 2005 sei Verfolgungsverjährung und damit auch Festsetzungsverjährung eingetreten.

 

Entscheidung

Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage. Die fünfjährige Verfolgungsverjährung für die Kindergeldzahlungen seit Juni 2004 begann erst mit der letzten Zahlung im Jahr 2011, sodass die verlängerte Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war.

 

Hinweis

1. Wird der ungerechtfertigte Bezug von Kindergeld erst nach langer Zeit aufgedeckt, so stellt sich die Frage, für welche Zeiträume die Familienkasse die Festsetzung wegen veränderter Verhältnisse aufheben kann (§ 70 Abs. 2 EStG).

2. Dafür ist zunächst zu ermitteln, ob die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren eingreift oder ob sich die Festsetzungsfrist wegen leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre oder wegen Steuerhinterziehung auf zehn Jahre verlängert (§ 169 Abs. 2 AO).

3. Eine verlängerte Festsetzungsfrist markiert jedoch noch nicht die Grenze, bis zu der das Kindergeld zurückzuzahlen ist, denn die verlängerte Festsetzungsfrist endet nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist (§ 171 Abs. 7 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO).

4. Die fünfjährige Verfolgungsverjährung (§ 384 AO) beginnt, sobald die ordnungswidrige Handlung beendet ist. Aber: Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung erst mit diesem Zeitpunkt (§ 31 Abs. 3 OWiG). Wenn also – wie im Streitfall – die Familienkasse pflichtwidrig nicht über den Wegzug aus Deutschland in Kenntnis gesetzt wird (= Handlung), beginnt die Verfolgungsverjährung erst fünf Jahre nach der letzten dadurch verursachten Kindergeldzahlung (= Erfolg). Der BFH stützt sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Gewährung fortlaufender Leistungen aufgrund einer (einzigen) betrügerischen Falscherklärung, z.B. zum BAFöG- und Rentenbetrug und zur Gewährung einer Subvention in mehreren Teilzahlungen. Die Rechtsauffassung des FG, wonach aufgrund des im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzips jede monatliche Auszahlung eine beendete Ordnungswidrigkeit darstellt, was zur Folge hätte, dass mit der jeweiligen Auszahlung auch die Verfolgungsverjährung begänne, lehnt der BFH ab: Die pflichtwidrig unterlassene Mitteilung über die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes erschöpft sich nicht in der Auszahlung des Kindergeldes für den darauf folgenden Monat, sondern ist Ursache der Auszahlung für alle weiteren Folgemonate. Im Extremfall kann somit die Festsetzung für mehrere zurückliegende Jahrzehnte aufgehoben werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 26.6.2014 – III R 21/13

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