Der Umfang der Haftung ergibt sich aus der Verursachung und dem Verschulden des Haftenden. Der § 69 AO hat nach der Rechtsprechung des BFH Schadensersatzcharakter. Der Haftungsbetrag muss sich deshalb nicht mit der geschuldeten Steuer decken. Ein Mitverschulden des Finanzamts wirkt sich auf die Höhe der Haftung aus. Hierbei findet der Rechtsgedanke des § 254 BGB Anwendung.[1]

Der Haftende muss dabei Steuerschulden und andere Schulden in gleicher Weise und Höhe befriedigen. Er haftet deshalb nur in dem Umfang, in dem er davon abweicht. Dieses wird als der Grundsatz der anteiligen Tilgung bezeichnet.[2] Stehen demjenigen, der als Haftender in Anspruch genommen werden soll, gar keine Mittel zur Verfügung, entfällt die Haftung deshalb in vollem Umfang. Dieser Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des BFH allerdings nicht für die Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer.[3] Reichen die Mittel im Einzelfall nicht aus, um sowohl volle Löhne und volle Lohnsteuer zu zahlen, muss der Geschäftsführer nach Ansicht von Rechtsprechung und Verwaltung nur gekürzte Löhne auszahlen und die hierauf entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen, um sich nicht der Gefahr einer Haftungsinanspruchnahme auszusetzen. Diese Rechtsprechung ist zwar in sich schlüssig, aber erscheint gleichwohl etwas praxisfern.[4]

In der Praxis von erheblicher Bedeutung ist die Frage der Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen sowie den Umfang der Haftung im jeweiligen Einzelfall. Dabei gilt, dass grundsätzlich entsprechend den allgemeinen Regelungen zur Beweislastverteilung das Finanzamt zu beweisen hat, dass die Voraussetzungen des § 69 AO vorliegen. Wenn nicht ausreichende Mittel zur Verfügung standen, muss eine anteilige Haftungsquote ermittelt werden. Dafür müssen Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten und der Steuerschulden im Haftungszeitraum und der an alle Gläubiger geleisteten Zahlungen getroffen werden. Diese Umstände liegen in der Sphäre des Haftenden. Das Finanzamt ist auf dessen Mitwirkung angewiesen, um die Haftungsvoraussetzungen ermitteln zu können. Wird diese Mitwirkung verweigert, trifft den Haftenden die objektive Beweislast für die Umstände, welche die Haftung begrenzen.[5]

[1] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 28 m. w. N. hinsichtlich des Diskussionsstands und mit einer Darstellung von Fallgestaltungen, in denen ein Mitverschulden der Finanzverwaltung in Betracht kommt; ausführlich Boeker, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 AO Tz. 53ff.; Kratzsch, in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 69 AO Rz. 130.
[3] BFH, Urteil v. 26.7.1988, VII R 83/87, BStBl 1988 II S. 859; krit. hierzu Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO,  § 69 AO Rz. 41.
[4] kritisch Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Rz. 41; Kratzsch, in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 69 AO Rz. 109ff.
[5] FG Hamburg, Urteil v. 25.10.1993, I 8/89, EFG 1994 S. 596.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge