Rz. 12

Diese hohen Ansprüche an die IFRS-Rechnungslegung werden jedoch vom IASB in IAS 1.29-31 und IAS 8.8 für den gesamten Jahresabschluss auf die wesentlichen Aspekte beschränkt. Daher müssen IFRS-Regelungen nicht angewandt werden, wenn die Auswirkung ihrer Anwendung unwesentlich ist (IAS 1.31). Allerding darf diese Möglichkeit nicht zu abschlusspolitischen Gestaltungen genutzt werden, indem etwa unwesentliche Abweichungen von den IFRS vorgenommen werden oder unberücksichtigt bleiben, um eine bestimmte Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage oder der Cashflows eines Unternehmens zu erzielen. Nach RK.2.11 und IAS 1.7 wird lediglich qualitativ bestimmt, dass eine Information dann wesentlich ist, wenn ihr Weglassen oder ihre fehlerhafte Darstellung die auf der Basis des Abschlusses getroffene Entscheidung der Adressaten beeinflussen können. Dabei sind bei der Beurteilung die unterschiedlichen Eigenschaften der Adressaten zu berücksichtigen und es ist von normalen Umständen bezüglich der von den Adressaten zu treffenden wirtschaftlichen Entscheidungen auszugehen.

 

Rz. 13

Da keine weiteren Konkretisierungen der Wesentlichkeitsschwelle vorgenommen werden, kann von derselben – ebenfalls handelsrechtlich letztlich ungeregelten – Größe wie nach HGB ausgegangen werden. Allerdings finden sich auch in der Auslegung in Theorie und Rechtsprechung höchst unterschiedliche Werte. Exemplarisch können angeführt werden eine Fehlerrelation zur Bilanzsumme von unter 0,5 %[1], von unter 1 %[2] sowie von unter 5 %, eine Fehlerrelation zum Jahresüberschuss von weniger als 10 % sowie eine Kombination von beiden Werten.[3]

 

Rz. 14

Lüdenbach und Hoffmann weisen jedoch darauf hin, dass es etwa US-amerikanische Gerichte regelmäßig nicht akzeptieren, wenn bis zu 3 % der Umsatzerlöse und 5 % der Bilanzsumme als unwesentlich eingestuft werden, wenn die Abweichung dazu führt, einen Verlustausweis zu verhindern, die Änderung eines Trends zu verschleiern, bewusst externe Vorgaben von Analysten oder Kreditinstituten einzuhalten oder Zielvorgaben des Managements im Rahmen von Anreizsystemen zu erfüllen.[4]

 

Rz. 15

Damit bleiben letztlich die qualitativen Aspekte für die Beurteilung von Wesentlichkeit entscheidend. Allerdings zeigt die hohe festgestellte Fehlerquote beim Enforcement (inzwischen nur noch von der BaFin durchgeführt, europaweit ist die ESMA zuständig), dass es für Rechnungsleger und Prüfer im Zweifel sehr schwierig ist, fehlende Angaben mit Verweis auf die Wesentlichkeit zu begründen. Es wäre daher denkbar, möglichst viele Informationen in den Abschlussbestandteilen auszuweisen, um die Problematik der Wesentlichkeitsbestimmung zu entschärfen. Allerdings stellt die "Überversorgung" mit Informationen, auch als information overkill bezeichnet, ebenfalls ein Problem dar, das, ggf. auch bewusst genutzt, den Abschlusszweck konterkarieren kann. Denn eine bewusst mit Informationen überladene Darstellung kann durch ihre Unübersichtlichkeit auch zu einer nicht ausreichenden entscheidungsrelevanten Informationsgrundlage führen. Somit bleibt es bei dem diffusen qualitativen Kriterium der Beeinträchtigung der Adressatenentscheidung, was Rechnungsleger und Wirtschaftsprüfer jeweils als unbestimmte Messlatte für die Wesentlichkeit im Einzelfall zu bestimmen haben. Hierbei kann auch ein Zusammenhang mit dem Kosten-Nutzen-Gedanken (materiality-Grundsatz) hergestellt werden, der im Rahmen des Rahmenkonzepts näher erläutert wird.

[1] OLG Frankfurt am Main, Urteil v. 18.3.2008, NZG 2008 S. 429, jedoch zusätzlich mit der Maßgabe, dass auch die Auswirkung auf die Liquidität unwesentlich ist.
[2] LG Frankfurt am Main, Urteil v. 3.5.2001, DB 2001 S. 1483.
[3] LG München, Urteil v. 12.4.2007, BB 2001 S. 2510; sowie bestätigend OLG München, BB 2008 S. 440.
[4] Vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS-Kommentar, 21. Aufl. 2023, § 1 Rz. 65.

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