Rz. 6

Die Ausgestaltung des IASB-Regelwerks entspricht einem Kompromiss aus Einzelfall- und Prinzipienorientierung. Anders als bei dem kontinentaleuropäischen Gesetzbuchprinzip ist das Verhältnis der Normen untereinander nicht so, dass die Spezialnorm die Generalnorm verdrängt.[1] Es finden sich aber dennoch bestimmte Prinzipien, die eine Lösung von nicht vom IASB behandelten Einzelfällen zulässt. Neben der rechtshistorischen Entwicklung kann dies damit erklärt werden, dass bei weltweit anerkannten Normen eine einheitliche Rechtsfortbildung, wie sie etwa beim HGB über die Grundsätze ordnungsmäßiger Rechnungslegung durch Rechtsprechung und Literatur erfolgen, nicht zu erwarten ist. Daher ist das Regelwerk erheblich umfassender und eher fallorientiert. Konkret existieren 3 zentralen Elemente: die Einzelstandards, die Interpretationen und das Rahmenkonzept (Framework, RK). In IAS 8 ist eine Hierarchie vorgegeben, die den Stellenwert der einzelnen Verlautbarungen nach ihrer Bedeutung einstuft:

  • Als Fundament ist die zentrale Aufgabe der Abschlüsse eingestuft, wonach die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie die Zahlungsströme eines Unternehmens den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend darzustellen sind (fair presentation, IAS 1.15). Alle anderen Regelungen sind hinsichtlich ihrer Anwendung hieran zu prüfen und ggf. muss von einer Anwendung abgesehen werden, wenn das Ziel der fair presentation ansonsten nicht erreicht wird (IAS 1.19).
  • IAS 8.7 schreibt im nächsten Schritt die Anwendung der Standards und Interpretationen vor, um Bilanzierungsprobleme zu lösen. Die Interpretationen haben die gleiche bindende Wirkung wie einzelne Standards. Zu den Standards gehören häufig auch Anwendungsrichtlinien (Implementation Guidance) und Entscheidungsbegründungen (Basis for Conclusions), die ebenfalls nach IAS 8.9 auf dieser Ebene pflichtgemäß zu beachten sind, wenn es sich um integrale Bestandteile des Standards handelt. In einigen Fällen verweisen die Standards auf Ausführungen im Rahmenkonzept. Nur in diesen Passagen hat das Rahmenkonzept dann eine begrenzte Maßgeblichkeit und den gleichen Rang wie die Standards.
 

Rz. 7

Liegen Regelungslücken vor, so ist nach IAS 8 folgend Hierarchie zur Lösung vorgeschrieben:

  • Fallanalogien: Heranziehung bereits bestehender Vorschriften der IFRS, wie Standards oder Interpretationen, die ähnliche Sachverhalte regeln (IAS 8.11a);
  • Systemanalogien: Ableitung von Rechnungslegungsmethoden, basierend auf dem Framework (IAS 8.11b), was einer Prinzipienorientierung entspricht; sowie
  • aktuelle Verlautbarungen anderer Standardsetter oder sonstige Rechnungslegungsverlautbarungen sowie anerkannte Branchenpraktiken, sofern sie nicht in Konflikt mit den Grundsätzen der IFRS stehen (IAS 8.12).
 

Rz. 8

Bei den vom IASB herausgegebenen Rechnungslegungsstandards handelt es sich zunächst ausschließlich um privatwirtschaftliche Empfehlungen. Für deutsche Unternehmen erfolgt die Verpflichtung zur bzw. Ermöglichung der IFRS-Anwendung über die EU, die die legislative Kompetenz behält und neue und geänderte Standards und Interpretationen mit der Fortschreibung der sog. IAS-Verordnung (EU-Richtlinie 1606/2002) in allen Amtssprachen der EU im Amtsblatt für verpflichtend erklärt. Dabei müssen alle neuen und geänderten Standards und Interpretationen vor ihrer Umsetzung in europäisches Recht auf Übereinstimmung mit den EG-Richtlinien überprüft werden. Der Ablauf dieses Anerkennungsverfahrens (Endorsement Mechanism) wird auf technischer Ebene durch die fachliche Beratung der EU-Kommission durch die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) und die Standard Advice Review Group (SARG) sowie auf politischer Ebene durch ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren (Komitologieverfahren) durch das Accounting Regulatory Committee (ARC) unterstützt.[2] Die Anerkennung durch die EU dauert in jüngster Zeit durch aufwendige Prüfungen zur Einschätzung von Informationsgewinn für die Adressaten einerseits und Aufwand für die Rechnungsleger andererseits immer länger, sodass zwischen der Verabschiedung und dem Endorsement durch das EU-Parlament inzwischen in einigen Fällen über 18 Monate liegen. Da das Rahmenkonzept nur ergänzende Wirkung auf die Rechnungslegung hat, ist es nicht Bestandteil der IAS-Verordnung. Es existiert dennoch eine im Rahmen der Verabschiedung der Verordnung von der EU übersetzte und veröffentlichte Version des Rahmenkonzepts, welches 1989 noch das IASC verabschiedet und 2001 das IASB angenommen hat.[3] Allerdings ist diese Version inhaltlich überholt und hat keine Verbindlichkeit mehr, da die Bezüge zum Rahmenkonzept von 2018[4] in den Standards, die die EU übernommen und den Unternehmen verpflichtend vorgegeben hat, eingearbeitet wurden.[5]

[1] Vgl. z. B. Mühlbauer/Müller, DB 2018, S. 1482 ff.
[2] S. "Rechnungslegung nach IFRS", Rz. 6, und Federmann/Müller, Bilanzierung nach HGB, Steuerrecht und IFRS, 13. Aufl. 2018, S. 90 ff.

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