Das Recht der Kapitalerhaltung wird im Interesse des Gläubigerschutzes über bloße Auszahlungen hinaus auf weitere Sachverhalte erweitert. Verbotene Ausschüttungen an die Gesellschafter liegen nicht nur vor, wenn einseitig Vermögen aus der Gesellschaft, etwa durch Auszahlung aus der Kasse oder Abhebung vom Bankkonto, abfließt. Vielmehr sind auch alle weiteren Maßnahmen in die Betrachtung einzubeziehen, die ebenfalls per Saldo zu einer Vergrößerung oder Entstehung einer Unterbilanz führen.

 
Praxis-Beispiel

Verkauf eines Dienstwagens an Gesellschafter

Verkauft z. B. die Gesellschaft an einen Gesellschafter einen Dienstwagen, der mit 10.000 EUR in den Büchern steht, zu einem Preis von 6.000 EUR, würde bilanziell betrachtet das Gesellschaftsvermögen um 4.000 EUR verringert werden. Eine verbotene Ausschüttung läge vor, wenn durch dieses Rechtsgeschäft das Stammkapital angegriffen wird.

Die Ermittlung der Unterbilanz erfolgt nach ganz überwiegender Ansicht durch bilanzielle Betrachtungsweise, auf die tatsächlichen Werte der Gegenstände kommt es grundsätzlich nicht an.[1] Hiervon unterscheidet sich die Ermittlung der Unterbilanz von der Ermittlung der Überschuldung, welche erforderlich ist, um eine Insolvenzreife der Gesellschaft festzustellen. Die Aktiva und Passiva für die Ermittlung der Unterbilanz sind damit der letzten Bilanz zu entnehmen und auf den Tag der verbotenen Ausschüttung fortzuschreiben. Eine Unterbilanz kann auch dadurch entstehen oder verstärkt werden, dass ein Kredit an den Gesellschafter aus dem GmbH-Vermögen gewährt wird, der Rückzahlungsanspruch jedoch wegen unzureichender Kreditwürdigkeit des GmbH-Gesellschafters nicht werthaltig ist.

 
Praxis-Beispiel

Doppelte Prüfpflicht der Geschäftsleitung

Eine Tiefbau-GmbH ist die Tochtergesellschaft einer großen Bau AG. Die Bau AG ist zu 70 % beteiligt. Die anderen 30 % halten Geschäftsführer und weitere Mitarbeiter der Tiefbau-GmbH. Mit der Tochtergesellschaft besteht kein Unternehmensvertrag. Die Mutter-AG weist an, dass die Tochter-GmbH freie Liquidität als verzinsliches Darlehen an die Muttergesellschaft gewähren soll. Der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft müsste prüfen, ob bei Gewährung des Darlehens der Rückzahlungsanspruch vollwertig ist. Dafür müsste der Geschäftsführer die wirtschaftlichen Verhältnisse der Muttergesellschaft kennen. Ggf. muss er auf Sicherheiten bestehen, will er keine Unterbilanz entstehen lassen.

Der Geschäftsführer muss doppelt prüfen: Einerseits muss er bei der Tochter-GmbH beurteilen, ob dort eine Unterbilanz besteht und ob diese durch einen ungesicherten, nicht werthaltigen Rückzahlungsanspruch vergrößert werden würde, andererseits müsste der Geschäftsführer die Kreditwürdigkeit der Muttergesellschaft prüfen. Der Geschäftsführer befindet sich damit in einer schwierigen Situation. Es haftet dann in erster Linie die empfangende Muttergesellschaft wegen der verbotenen Ausschüttung (§ 31 Abs. 1 GmbHG), soweit durch den ungesicherten Kredit eine Unterbilanz bei der Tochter-GmbH vergrößert wurde. Daneben kommt aber eine Solidarhaftung der Mitgesellschafter sowie eine Haftung des Geschäftsführers gegenüber der GmbH in Betracht (siehe § 31 Abs. 3 GmbHG und § 43 Abs. 3 GmbHG).

[1] Jula, Der GmbH-Gesellschafter, 4. Aufl. 2020, S. 230 ff. m. w. N.

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