Rz. 15

Verlagerungsbegriff

Der Begriff der "Verlagerung" wird ebenso wie derjenige der "Funktion" nicht in § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG, sondern in § 1 Abs. 2 FVerlV definiert (Rz. 5). Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV liegt eine Funktionsverlagerung vor, "wenn eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile ganz oder teilweise übertragen oder überlassen wird, so dass das übernehmende Unternehmen diese Funktion ausüben oder eine bestehende Funktion ausweiten kann."

Mit der Neufassung des § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV verzichtet der Verordnungsgeber für Zwecke des Vorliegens eines Verlagerungsvorgangs darauf, einen Zusammenhang zwischen der vor der Verlagerung durch das verlagernde Unternehmen ausgeübten Funktion und der nach der Verlagerung durch das übernehmende Unternehmen ausgeübten Funktion herzustellen. Es genügt, dass infolge der Übertragung oder Überlassung („so dass“) „das übernehmende Unternehmen diese Funktion ausüben oder eine bestehende Funktion ausweiten kann“. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV stellt nicht mehr auf das verlagernde Unternehmen ab, erfordert mithin nicht mehr, dass die Ausübung der nämlichen Funktion infolge der Verlagerung „durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird“ (§ 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV a. F.). Mit § 1 Abs. 5 FVerlV bleibt allerdings die bisherige Regelung zu Funktionsverdopplungen (§ 1 Abs. 6 FVerlV a. F.) erhalten, sodass materiell-rechtlich weiterhin erforderlich ist, dass die betreffende Funktion beim verlagernden Unternehmen eingestellt oder zumindest eingeschränkt wird.

Damit muss auch weiterhin die in das Ausland "verlagerte" Funktion beim inländischen Unternehmen eingestellt oder zumindest eingeschränkt werden. Während der Begriff des "Einstellens" insofern eindeutig ist, als damit die Aufgabe der entsprechenden Funktion im Inland gemeint ist, ist die Auslegung des Begriffs "einschränken" problematisch. Insbesondere stellt sich die Frage, ob der Begriff der Einschränkung einer Funktion tätigkeitsbezogen oder produktbezogen auszulegen ist. Die Finanzverwaltung geht von einem rein produktbezogenen Begriffsverständnis aus. Diese Auffassung ist abzulehnen, da sie durch die gesetzliche Definition der Funktionsverlagerung nicht gedeckt ist. Soweit § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV eine "Verlagerung" bereits mit der Einschränkung der Funktion beim inländischen Unternehmen annimmt, während § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG von einer Einstellung der Funktion im Inland ausgeht, verlässt die FVerlV ihren Ermächtigungsrahmen und ist insoweit ohne Rechtsgrundlage.

Dieser Befund gilt erst recht im Hinblick darauf, dass § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV nicht nur Verlagerungsvorgänge erfasst, die das übernehmende Unternehmen erstmals in die Lage versetzen, die betreffende Funktion auszuüben, sondern auch solche, durch die das übernehmende Unternehmen „eine bestehende Funktion ausweiten kann“. Dass eine Funktionsausweitung beim übernehmenden Unternehmen als Funktionsverlagerung zu qualifizieren sein soll, höhlt den Funktionsbegriff des § 1 Abs. 1 FVerlV vollständig aus. Insofern müssten bezogen auf den Gegenstand der Verlagerung für sich genommen weder beim verlagernden noch beim übernehmenden Unternehmen die Voraussetzungen des Funktionsbegriffs erfüllt werden.

 

Rz. 16

Kumulativer Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen

Eine Funktionsverlagerung setzt damit zunächst voraus, dass mit der Funktion Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile auf den neuen Funktionsträger übergehen. Durch das AbzStEntModG[1] wurde der Tatbestand der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG dahingehend geändert, dass Wirtschaftsgüter „oder“ sonstige Vorteile zu verlagern sind, d. h. die „und“-Verknüpfung wurde durch eine „oder“-Verknüpfung ersetzt. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll mit der vorgenommenen legalen Definition des Begriffs „Transferpaket“ keine Änderung des bisherigen Verständnisses verbunden sein.[2] Unverändert ist die Mitübertragung oder -überlassung von Wirtschaftsgütern oder sonstigen Vorteilen mit einer Funktion, einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken erforderlich.[3]

Hierbei handelt es sich um ein konstitutives Tatbestandsmerkmal, d. h. ohne Übertragung und/oder Überlassung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen fehlt es an einer Funktionsverlagerung.[4] Allein die Übertragung einer Funktion, verstanden als betriebliche Aufgabenstellung des Funktionsträgers, ist ein steuerlich irrelevanter Vorgang. Dies gilt zumindest dann, wenn die Erfassung eines Wertschöpfungs- bzw. Gewinnpotenzials beabsichtigt ist. Entscheidend ist allenfalls, ob das übernehmende Unternehmen mittels des übergehenden Konglomerats aus Wirtschaftsgütern, sonstigen Vorteilen und dazugehörenden Chancen und Risiken in die Lage versetzt wird, die betreffende Funktion auszuüben. Ebenso wenig stellt die isolierte Übertragung von Chancen oder Risiken eine Funktionsverlagerung dar. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV spricht insof...

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