Rz. 106

Die Beschränkung, Veräußerungsgewinne auf Wirtschaftsgüter einer inländischen Betriebsstätte zu übertragen, ist ein Verstoß gegen die durch Art. 49 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit.[1] Der Gesetzgeber hat darauf mit dem Abs. 2a reagiert, der sich an § 36 Abs. 5 EStG orientiert. Die Beschränkung in § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG auf Inlandsfälle bleibt damit zwar bestehen, aber die Neuregelung eröffnet mit § 6b Abs. 2a EStG ein Wahlrecht: Bei Reinvestitionen in bestimmte Wirtschaftsgüter, die zum Betriebsvermögen einer EU- oder EWR-Betriebsstätte gehören, kann die wegen einer vorangegangenen Veräußerung von Betriebsvermögen angefallene Steuer auf 5 Jahre verteilt werden.[2]§ 6b Abs. 2a EStG gewährt damit eine weitere Möglichkeit der Versteuerung eines Veräußerungsgewinns[3], die der Stpfl. beantragen kann, wenn eine Investition im EU/EWR-Raum beabsichtigt ist. Systematisch führt diese im Steuererhebungsverfahren angesiedelte Vorschrift zu einer Stundung der ESt (nicht der GewSt)[4], auf die unter den Voraussetzungen des § 6b Abs. 2a EStG ein Rechtsanspruch besteht.[5] Wird wegen einer Verlustverrechnung keine Steuer festgesetzt, kommt die Vorschrift nicht zum Tragen. Die Investition muss nur möglich sein; es wird weder ein bereits vorhandenes Betriebsvermögen in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedsstaat noch eine Reinvestitionsabsicht gefordert. Unter "Zuordnung" ist in diesem Zusammenhang wie auch bei § 36 Abs. 5 S. 1 EStG eine "tatsächlich-funktionale" Zuordnung zu verstehen.[6] Die Ausübung des Wahlrechts muss nicht gem. § 5 Abs. 1 S. 2 und 3 EStG dokumentiert werden, weil sie nicht zu einer vom Handelsrecht abweichenden Bilanzierung führt.

Das Wahlrecht nach § 6b Abs. 2a EStG kann nicht neben den Wahlrechten nach § 6b Abs. 1 und 3 EStG ausgeübt werden, da deren Voraussetzungen nicht nebeneinander vorliegen können. Möglich ist es aber, die Steuerstundung nach § 6b Abs. 2a EStG mit dem Abzug nach § 6b Abs. 1 EStG oder der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG zu kombinieren.[7]

Nicht begünstigt sind durch die Regelung in § 6b Abs. 2a EStG Anteile einer Kapitalgesellschaft (§ 6b Abs. 10 EStG), da sich § 6b Abs. 2a EStG nur auf die in § 6b Abs. 1 S. 1 und 2 EStG genannten Wirtschaftsgüter bezieht. Ein sachlicher Grund für diese Beschränkung ist nicht erkennbar. Da auch insoweit ein Verstoß gegen Art. 49 AEUV vorliegt[8], ist wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts der Anwendungsbereich des § 6b Abs. 2a EStG auch auf die in § 6b Abs. 10 EStG genannten Wirtschaftsgüter auszudehnen.[9]

 

Rz. 106a

§ 6b Abs. 2a S. 3 EStG verweist auf die sinngemäße Anwendung des § 36 Abs. 5 S. 2 bis 5 EStG. Gem. § 36 Abs. 5 S. 2 EStG ist deshalb die erste Jahresrate innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des ESt- oder KSt-Bescheids zu entrichten. Jeweils am 31. Mai der Folgejahre werden die übrigen Raten fällig. Die Jahresraten sind nicht zu verzinsen (§ 36 Abs. 5 S. 3 EStG). Wird der Betrieb oder Teilbetrieb während dieses Zeitraums eingestellt, veräußert oder in andere als die in S. 1 genannten Staaten verlegt, wird die noch nicht entrichtete Steuer innerhalb eines Monats nach diesem Zeitpunkt fällig (§ 36 Abs. 5 S. 4 EStG). Ändert sich der Veräußerungsgewinn (und damit die festgesetzte Steuer), sind die Jahresraten anzupassen (§ 36 Abs. 5 S. 5 EStG).

 

Rz. 106b

Der Stundungsantrag muss im Wirtschaftsjahr der Veräußerung der in § 6b Abs. 1 S. 2 EStG bezeichneten Wirtschaftsgüter gestellt werden, um eine Gleichbehandlung mit Inlandsfällen herzustellen. Denn auch dort muss der Stpfl. bereits im Wirtschaftsjahr der Veräußerung entscheiden, ob er den Veräußerungsgewinn auf das Ersatz-Wirtschaftsgut übertragen oder eine Rücklage bilden möchte. Der Antrag kann aber zusammen mit der Steuererklärung für das Veräußerungsjahr gestellt werden.[10]

Um eine unionsrechtskonforme Handhabung zu gewährleisten, kann bei Altfällen der Antrag nach § 6b Abs. 2a EStG nachträglich (für das betreffende Wirtschaftsjahr) beim FA gestellt werden, solange die materielle Bestandskraft des betroffenen Steuerbescheids noch nicht eingetreten ist.[11]

 

Rz. 106c

Die auch von der Finanzverwaltung akzeptierte Antragstellung ohne Reinvestionsabsicht hat den Gesetzgeber veranlasst, § 6b Abs. 2a EStG um die Sätze 4–6 zu ergänzen.[12]

Danach sind "für die Dauer des durch die Ratenzahlung gewährten Zahlungsaufschubs" Stundungszinsen nach §  234 AO zu erheben (§ 6b Abs. 2a S. 4 EStG). Wird der beantragte Umfang nicht voll ausgeschöpft, gilt dies nach § 6b Abs. 2a S. 5 EStG nur für den Unterschiedsbetrag. Dabei ist nach § 6b Abs. 2a S. 6 EStG davon auszugehen, dass der Unterschiedsbetrag anteilig auf alle Jahresraten entfällt. Abweichend von seinem Wortlaut ist § 6b Abs. 2a S. 5 EStG so zu verstehen, dass nur die auf den Unterschiedsbetrag entfallende Steuer zu verzinsen ist.[13] Die rückwirkende Regelung der Verzinsungspflicht während laufender Frist ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Gem. § 238 Abs. 1 AO fallen Zinsen i. H. v. 0,5 % für jeden vollen Monat an.

 

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