Rz. 1

Die Vorschrift wurde durch das FamilienförderungsG v. 22.12.1999[1] neu eingefügt.[2] Eine entsprechende Regelung für das Kindergeldrecht enthält dazu der § 21 BKKG. § 53 EStG ist eine zutreffende Umsetzung der Vorgaben des BVerfG vom November 1998 (Rz. 3).[3] § 53 EStG in der noch geltenden Fassung ist nur noch für Altfälle aus den Vz 1983 bis 1995 bedeutsam.

 

Rz. 2

Mit der Einkommensteuerreform 1974 wurde die Familienförderung auf ein reines Kindergeldsystem umgestellt. Ab 1983 bis 1995 galt wieder ein duales System mit neben dem Kindergeld zu berücksichtigenden Kinderfreibeträgen. Kindergeld und Kinderfreibeträge wurden in der Folgezeit mehrmals erhöht. Seit 1996 gilt – in Umsetzung der Rspr. des BVerfG zum Kinderlastenausgleich 1983 – 1985 – die alternative Inanspruchnahme von Kindergeld und Kinderfreibetrag. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe an die Kinderentlastung wurden erst nach und nach entwickelt. Wegen dieser sukzessiven Entwicklung hat das BVerfG für die Vz vor 1983, obwohl die Kinderentlastung zu niedrig war, keinen Verfassungsverstoß angenommen, sofern die Grundrechtsverletzung nicht gewichtig war.[4]

 

Rz. 3

In drei Beschlüssen v. 10.11.1998 stellte das BVerfG die Unvereinbarkeit der Kinderfreibetrags-Regelungen mit dem GG für 1985, 1987, 1988 bei einem bzw. zwei Kindern fest.[5] Wie sich aus den Gründen der Beschlüsse a. E. ergibt, gilt dies aber erst ab bestimmten Grenzsteuersätzen. Veranlagungen, bei denen diese Sätze nicht erreicht werden, sind deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.[6] Eingelegte Rechtsbehelfe sind insoweit unbegründet. Das BVerfG bestätigt, das steuerfreie Existenzminimum dürfe den Betrag der im Rahmen der Sozialfürsorge gewährten Leistungen nicht unterschreiten.[7] Bei Familien müsse das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben.[8] Auch bei Beziehern höherer Einkommen sei aus Gleichheitsgründen die verminderte Leistungsfähigkeit aufgrund von Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen.[9] Eine Verpflichtung zur Freistellung des vollen bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs ergibt sich nicht aus den vom BVerfG vorgegebenen verfassungsrechtlichen Anforderungen.[10]

 

Rz. 4

Die bisher vermissten Präzisierungen hinsichtlich der Berechnung des sächlichen Existenzminimums eines Kindes[11] werden nachgeholt:

  • Der Wohn-/Heizbedarf ist nicht nach der Pro-Kopf-Methode (Aufteilung der Wohnkosten nach den Köpfen der Familie), sondern nach der Mehrbedarfsmethode (Differenzmethode) zu ermitteln, d. h. erfasst wird nur der tatsächliche zusätzliche Aufwand, wobei unterstellt wird, dass eine zusätzliche Person keinen proportionalen Mehrbedarf an den Gemeinschaftsräumen verursacht.
  • Die sozialrechtlichen Existenzminima sind keine Durchschnittswerte, sondern Mindestbeträge, die nicht, auch nicht geringfügig, unterschritten werden dürfen. Gesetzgeber und Verwaltung können sich daher nicht auf einen Schätzungsrahmen berufen. Die bisher für den Gesetzgeber anerkannte Toleranz von 15 %[12] gilt nicht mehr.
  • Bei der Umrechnung des Kindergeldes in einen fiktiven Kinderfreibetrag darf nicht typisierend ein Grenzsteuersatz von 40 % zugrunde gelegt werden.[13] Das Kindergeld ist vielmehr mit dem individuellen Grenzsteuersatz umzurechnen.[14] Höhere Sätze führen folglich zu niedrigeren aus dem Kindergeld abgeleiteten steuerlichen Entlastungen, da der sich aus der Umrechnung ergebende Freibetrag umso geringer ist, je höher der Grenzsteuersatz und damit das zu versteuernde Einkommen ist. Hohe Einkommen führen daher eher dazu, dass die steuerliche Entlastung des Kinderexistenzminimums bei den bisherigen Beträgen nicht erreicht wird. Bei Normalverdienern reichen die bisherigen Kinderfreibeträge regelmäßig schon für eine verfassungsgemäße Kinderentlastung aus.

Die Beschlüsse enthalten – über die entschiedenen Vz 1985, 1987, 1988 hinaus – die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Freistellung des Kinderexistenzminimums in sämtlichen noch offenen Veranlagungen ab 1983.[15] Die vom BVerfG entwickelten Grundsätze sind rückwirkend auf alle noch offenen Veranlagungen, d. h. die mit einem Rechtsbehelf angefochtenen oder mit einem Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Kinderfreibeträge versehenen Bescheide, anzuwenden.[16] Die Verwaltung hat weiterhin vorläufig veranlagt (FM NRW v. 26.1.1999, FR 1999, 276), obwohl die Unvereinbarkeit mit dem GG erst ab bestimmten Grenzsteuersätzen gegeben ist. Die Rechtslage ist daher grundsätzlich anders als nach dem weiteren Beschluss des BVerfG v. 10.11.1998, 2 BvR 1057/91 u. a., BStBl II 1999, 182, zu den Kinderbetreuungskosten (§ 33c EStG a. F, aufgehoben durch Art. 1 des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung v. 26.4.2006 (BGBl I 2006, 1091)) und zum Haushaltsfreibetrag (§ 32 Abs. 7 EStG a. F.; ab Vz 2004 entfallen), dem keine Rückwirkung zukommt.[17]

 

Rz. 5

Da Kinderexistenzminimum, Kinderfreibetrag und Kindergeld in den betreffenden Jahren nicht parallel gestiegen sind, ergibt sich für jedes Jahr ein unt...

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