Rz. 199

Der Tatbestand des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG betrifft Fälle, in denen der andere Staat (d. h. der Quellenstaat) wohl aus deutscher Sicht das unbeschränkte Besteuerungsrecht hat, aus seiner Sicht aber nicht. Es geht also um Fälle, in denen der Quellenstaat, anders als Deutschland als Ansässigkeitsstaat, das Abkommen so anwendet, dass er die Einkünfte von der Besteuerung auszunehmen hat oder nur einem durch das Abkommen begrenzten Abzugsteuersatz unterwerfen darf. Der Tatbestand enthält also die Voraussetzung, dass ein Qualifikationskonflikt vorliegt; es handelt sich um eine "Switch-over-Klausel" (zur Terminologie Rz. 172f.). Erfolgt aus anderen Gründen eine Nichtbesteuerung, ist Abs. 9 nicht anwendbar. Die Vorschrift ist keine allgemeine Subject-to-tax-Klausel.[1]

Dass ein Qualifikationskonflikt vorliegt, ist nicht ausdrücklich Tatbestandsvoraussetzung des § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG, wohl aber Grund für die Regelung. Im Verhältnis zu der ersten Alternative der Vorschrift, dass der Quellenstaat das DBA so anwendet, dass er die Einkünfte von der Besteuerung ausnimmt, dürfte dies praktisch nicht zu Problemen führen. Wenn der andere Staat bei Anwendung des DBA glaubt, kein Besteuerungsrecht zu haben, Deutschland aber nach seiner Auslegung die Freistellungsmethode anwendet, kann dies i. d. R. nur auf einem Qualifikationskonflikt beruhen. Anders ist es jedoch bei der zweiten Alternative, der begrenzten Quellenbesteuerung im Ansässigkeitsstaat. In diesen Fällen, insbesondere bei Dividenden, kann es zu der Kombination kommen, dass der Quellenstaat nach seiner (richtigen) Ansicht nur ein begrenzten Quellensteuerrecht hat, Deutschland die Einkünfte aber (aufgrund einer ebenfalls richtigen Auslegung des DBA) aufgrund des internationalen Schachtelprivilegs freizustellen hat, also kein Qualifikationskonflikt vorliegt. Daher kann die Vorschrift der Nr. 1 wegen des Fehlens einer Bezugnahme auf einen Qualifikationskonflikt so verstanden werden, dass sie das internationale Schachtelprivileg abschafft. Zu dieser Problematik Rz. 217.

 

Rz. 199a

Die Vorschrift wurde durch das G. v. 13.12.2006[2] eingefügt (Rz. 218). Der BFH[3] äußert jedoch ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift und hat die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt. Begründet wird die Ansicht der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift damit, dass es sich um ein "treaty override" handle, das wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG verfassungswidrig sein könne (Rz. 3ff.). Allgemein zur Zulässigkeit eines Treaty Overrides Rz. 3ff. Nachdem das BVerfG ein Treaty Override in der zu § 50d Abs. 8 EStG ergangenen Entscheidung nahezu ohne Einschränkung zugelassen hat (Rz. 177), dürfte die Vorschrift allein wegen des Treaty Overrides nicht verfassungswidrig sein.

 

Rz. 200

§ 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG ist nur anzuwenden, wenn die Nichtbesteuerung in dem anderen Staat (dem Quellenstaat) auf dessen Anwendung des DBA beruht. Das bedeutet, dass der andere Staat den Besteuerungstatbestand kennt und nach seinem nationalen Recht auch besteuert, aber glaubt, an der uneingeschränkten Besteuerung durch die Bestimmungen des DBA gehindert zu sein, weil das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik als Ansässigkeitsstaat zustehe. Wenn dann die Bundesrepublik als Ansässigkeitsstaat aufgrund ihrer Auslegung des DBA die Ansicht vertritt, das Besteuerungsrecht stehe dem Quellenstaat zu, können unbesteuerte, "weiße" Einkünfte entstehen. Dies soll die Vorschrift verhindern. Dagegen greift § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG nicht ein, wenn eine doppelte Nichtbesteuerung auf anderen Gründen als der unterschiedlichen Anwendung des DBA beruht. Die Vorschrift ist daher keine allgemeine "Subject-to-tax-Klausel", die bei jeder doppelten Nichtbesteuerung eingreifen würde.

 

Rz. 201

Zur Nichtbesteuerung oder nur beschränkten Besteuerung im Quellenstaat kann es kommen, wenn

  • der ausl. Staat von einem anderen Sachverhalt ausgeht als die Bundesrepublik und den Besteuerungstatbestand daher unter eine andere Abkommensbestimmung subsumiert,
  • der ausl. Staat Abkommensbestimmungen anders auslegt als die Bundesrepublik oder
  • nach dem DBA Abkommensbegriffe nach dem jeweiligen nationalen Recht auszulegen sind (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) und die Auslegungsergebnisse in beiden Staaten wegen der dort geltenden unterschiedlichen Regelungen differieren.

In allen diesen Fällen, die die Gesetzesbegründung "Qualifikationskonflikte" nennt, soll Abs. 9 S. 1 Nr. 1 anwendbar sein.[4]

 

Rz. 201a

Die Formulierung des Tatbestands des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG führt dann zu Problemen, wenn beide Staaten das DBA gleich auslegen und es trotzdem weder zu einer Besteuerung im Ansässigkeitsstaat noch im Quellenstaat kommt. Ein Beispiel ist das internationale Schachtelprivileg bei Gewinnausschüttungen. In diesem Fall kann der Quellenstaat die Ausschüttung nicht oder nur mit einem begrenzten Quellensteuersatz besteuern, der Ansässigkeitsstaat stellt die Ausschüttung aufgrund des internationalen S...

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