Rz. 102

Alternativ zu Nr. 1 schließt Nr. 2 i. d. F. bis 31.12.2011 die Steuerentlastung aus, wenn die ausl. Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahrs aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt.[1] Zusätzlich gilt Abs. 3 S. 3 wonach keine eigene Wirtschaftstätigkeit vorliegt, soweit die ausl. Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Zum Begriff der "Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit" vgl. Rz. 82ff.

 

Rz. 103

Anders als nach der Rechtslage ab 1.1.2012 (Rz. 82ff.) bezieht sich der Begriff der "Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit" nicht auf die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden Erträge, sondern auf die gesamte Wirtschaftstätigkeit. Wenn die Grenze von 10 % eingehalten ist, sind die Erträge daher entlastungsberechtigt, unabhängig davon, ob sie zu der "eigenen Wirtschaftstätigkeit" gehören oder "passiv" sind.

 

Rz. 104

Die Bruttoerträge aus eigener Geschäftstätigkeit müssen mehr als 10 % der gesamten Bruttobeträge der Gesellschaft betragen, wenn Anspruch auf die Steuerentlastung bestehen soll. Für den Begriff der Bruttoerträge verweist die Finanzverwaltung auf die Grundsätze zu § 9 AStG.[2]

 

Rz. 105

Die Grenze von 10 % bezieht sich auf die Bruttobeträge eines Wirtschaftsjahrs, nicht eines Vz. Gemeint ist das Wirtschaftsjahr, in dem die Vergütungen zufließen und für das daher die Entlastung von der Abzugsteuer beansprucht wird.[3] Bei Zufluss der Vergütungen werden die gesamten Bruttoerträge noch nicht feststehen, sodass bis zum Ende des Wirtschaftsjahrs Unsicherheit besteht, ob eine Entlastung erfolgen kann. Die Finanzverwaltung will daher die Freistellungsbescheinigung unter Vorbehalt des Widerrufs erteilen.[4] In Sonderfällen lässt sich das Überschreiten der 10-%-Grenze durch Umstellung des Wirtschaftsjahrs und Einschaltung eines Rumpfwirtschaftsjahrs erreichen.

 

Rz. 106

Für jährlich schwankende Bruttoerträge aus der eigenen Geschäftstätigkeit sowie bei neu gegründeten Gesellschaften gibt das BMF[5] eine Milderungsregelung aus sachlichen Billigkeitsgründen vor. Wird in einem Wirtschaftsjahr die Grenze von 10 % nicht überschritten, ist das unschädlich, wenn diese Grenze in den 3 vorangegangenen Wirtschaftsjahren (d. h. in jedem Wirtschaftsjahr, nicht im Durchschnitt) überschritten wurde. Bei neu gegründeten Gesellschaften wird die Steuerentlastung gewährt, wenn die 10-%-Grenze in den 3 der Gründung folgenden Wirtschaftsjahren voraussichtlich überschritten wird. Dies ist durch eine sachgerechte Vorausplanung nachzuweisen; ob später die Grenze tatsächlich überschritten wird, ist unbeachtlich, da es nur auf das "voraussichtliche" Überschreiten ankommt.

 

Rz. 107

Die Indizwirkung dieses Merkmals für Vorliegen eines Missbrauchs ist relativ schwach. 10 % der Erträge oder weniger können bei hohen Dividendenerträgen (z. B. mehreren 100 Mio. EUR) eine eigene Geschäftstätigkeit von erheblichem Umfang darstellen. In solchen Fällen (bei denen z. B. das Merkmal nach Nr. 1 nicht erfüllt ist, also für die Zwischenschaltung der Gesellschaft beachtliche Gründe vorliegen) tendiert die Indizwirkung für einen Missbrauch gegen 0. Die Ausgestaltung dieses Merkmals als unwiderlegbare Vermutung ist daher zu kritisieren; es kann zu Ergebnissen kommen, die vom Gesetzeszweck nicht gedeckt sind. Hinzu kommt, dass die Grenze von 10 % wenig oder keinen Auslegungsspielraum zulässt, um untragbare Ergebnisse zu vermeiden. Die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung wird aber schon deshalb regelmäßig ausscheiden, weil die ausl. Gesellschaft als ausl. Körperschaft nicht grundrechtsgeschützt ist.[6]

 

Rz. 108

Die Voraussetzung, dass mehr als 10 % der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen müssen, hält sich noch im Rahmen des Erfordernisses einer "tatsächlichen und echten Geschäftstätigkeit" i. S. d. Rechtfertigung eines Eingriffs in die Grundfreiheiten.[7] Wenn nur geringfügige Erträge erzielt werden, ist kaum denkbar, dass es sich noch um eine "tatsächliche und echte Geschäftstätigkeit" handelt. Nicht mehr mit EU-Recht zu vereinbaren ist jedoch, dass die Möglichkeit eines Gegenbeweises nicht eröffnet ist. Es sind Fälle denkbar, in denen trotz Unterschreitens der Grenze von 10 % kein Missbrauch vorliegt, wenn etwa die Bruttoerträge aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit erheblich sind, wegen hoher Dividendeneinnahmen aber trotzdem die Grenze von 10 % nicht überschritten wird.[8] In diesem Fall liegt eine "tatsächliche und echte Geschäftstätigkeit" vor, das Indiz der Nr. 2 ist widerlegt. Dementsprechend hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet mit der Begründung, dass hinsichtlich des Tatbestands der Nr. 2 ein Gegenbeweis zugelassen werden müsse.[9] Ab 1.1.2012 ist die absolute Grenze von 10 % der Bruttoerträge daher ersatzlos gestrichen worden. Für Zuflüsse bis zum 31.12.2011 gilt diese Grenze aber weiterhin, da sie nicht rückwirk...

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