Rz. 64

Systematisch enthält § 50d Abs. 3 EStG objektive Merkmale, bei deren Vorliegen unwiderleglich auf eine vorhandene Missbrauchsabsicht geschlossen wird. Die Vorschrift hat also den Charakter einer unwiderlegbaren Vermutung. Rechtspolitisch ist zu kritisieren, dass dies für den mit der Vorschrift verfolgten Zweck zu weit geht; eine widerlegbare Vermutung wäre ausreichend gewesen (wobei die Widerlegung praktisch kaum jemals gelingen dürfte). Zu europarechtlichen Bedenken Rz. 131ff.

 

Rz. 64a

Beruht die Steuerentlastung auf einem DBA, das eine Missbrauchsklausel enthält, verdrängt diese Missbrauchsklausel § 50d Abs. 3 EStG. Die Missbrauchsklausel des DBA ist insoweit lex specialis zu § 50d Abs. 3 EStG.[1] Eine derartige Missbrauchsklausel stellt etwa Art. 28 DBA-USA dar. Andererseits kann ein DBA eine ausdrückliche Klausel enthalten, dass nationale Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung durch das DBA nicht verdrängt werden; dann gilt § 50d Abs. 3 EStG neben den entsprechenden Regelungen des DBA.[2]

 

Rz. 64b

Soweit das DBA keine vorrangige Missbrauchsklausel enthält, ist fraglich, ob § 50d Abs. 3 EStG ein Treaty Override darstellt. Dafür spricht, dass die Vorschrift die Berechtigung zur Reduzierung der Quellensteuer nach DBA einschränkt, also im Ergebnis Abkommensvergünstigungen nicht gewährt.[3] Andererseits steht die Reduzierung der Quellensteuer nach Art. 10, 12 OECD-MA grundsätzlich nur dem "Nutzungsberechtigten" zu. Das DBA selbst definiert nicht, wer "Nutzungsberechtigter" ist. Auch aus dem systematischen Zusammenhang mit anderen Vorschriften des DBA ergibt sich eine solche Definition nicht. Daher ist insoweit entsprechend Art. 3 Abs. 2 OECD-MA inländisches Recht anzuwenden. Danach kann § 50d Abs. 3 EStG als eine nationale Definition dieses "Nutzungsberechtigten" angesehen werden. Da die DBA keine eigene Definition des "Nutzungsberechtigten" enthalten, ist somit auf das nationale Recht zurückzugreifen. § 50d Abs. 3 EStG als spezielle Missbrauchsvorschrift geht grundsätzlich über den Inhalt, den der Begriff "Nutzungsberechtigter" nach den DBA haben kann, nicht hinaus. Das gilt allerdings nicht mehr für die "Aufteilungsregelung", soweit danach die Reduzierung der Abzugssteuer ausgeschlossen ist, obwohl die fraglichen Einkünfte zur eigenen Wirtschaftstätigkeit der vergütungsberechtigten Gesellschaft gehören. In diesen Fällen liegt in der Einschaltung der ausl. Gesellschaft kein Missbrauch; es besteht auch kein Zweifel, dass diese Gesellschaft "Nutzungsberechtigter" ist. Insoweit liegt daher ein Treaty Override vor, dem jede rechtspolitische Rechtfertigung fehlt.

 

Rz. 64c

Schließlich stellt sich die Frage, ob § 42 AO neben § 50d Abs. 3 EStG anzuwenden ist. Für die Kalenderjahre bis einschl. 2007 verdrängte eine spezielle Missbrauchsvorschrift wie § 50d Abs. 3 EStG im Rahmen ihres Anwendungsbereichs § 42 AO. § 50d Abs. 3 EStG war, soweit der fragliche Sachverhalt unter den Tatbestand des Abs. 3 fiel, eine abschließende Sonderregelung, die die Anwendung des § 42 AO verdrängte.[4] Dies ergibt sich daraus, dass bei Vorliegen des Tatbestands des Abs. 3 regelmäßig ein Rechtsmissbrauch nach § 42 AO vorliegen wird. Im Geltungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG definiert nach dieser Auffassung diese Vorschrift, was missbräuchlich ist. Ein Sachverhalt, der durch Abs. 3 erfasst wird, diesen Tatbestand aber nicht vollständig erfüllt, ist damit nach der gesetzlichen Definition des Missbrauchs nicht missbräuchlich und kann daher nicht unter § 42 AO fallen. Eine gleichzeitige Anwendung beider Regelungen nebeneinander würde auch im Bereich der Rechtsfolgen zu kaum lösbaren Konkurrenzen führen (Rechtsfolge des § 42 AO: Änderung der Zurechnung; Rechtsfolge des § 50d Abs. 3 EStG: Versagung der Steuerentlastung bei unveränderter Zurechnung).[5]

 

Rz. 65

Ab Kj. 2008 gilt jedoch aufgrund der Neufassung des § 42 AO durch G. v. 20.12.2007[6] eine andere Rechtslage. Danach greift in erster Linie die spezielle Missbrauchsvorschrift, wenn deren Tatbestand erfüllt ist. Im Rahmen des Tatbestands des § 50d Abs. 3 EStG wird daher § 42 AO verdrängt. Ist der Tatbestand der speziellen Missbrauchsvorschrift jedoch nicht erfüllt, greift § 42 AO ein (§ 42 Abs. 1 S. 3 AO). Daher ist zwar ein Nebeneinander von § 50d Abs. 3 EStG und § 42 AO ausgeschlossen, nicht jedoch ein Eingreifen des § 42 AO, wenn ein Sachverhalt nicht vollständig den Tatbestand des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt.[7]§ 50d Abs. 3 EStG kann daher, zumindest ab Kj. 2008, nicht insoweit als abschließend verstanden werden, dass alle Sachverhalte, die nicht unter den Tatbestand des Abs. 3 fallen, als typisierend nicht missbräuchlich eingestuft werden; hierfür bietet der Text des Abs. 3 keine Anhaltspunkte.[8] Dies betrifft insbesondere Fallgestaltungen, in denen der letzte Empfänger der Leistungen nicht an der zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Eine weitere Gestaltung, die nicht unter Abs. 3 fällt, liegt etwa vor, wenn die Person des Empfängers der Dividenden bzw. Vergütungen durc...

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