Rz. 62

Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG soll sicherstellen, dass "funktionslosen" Gesellschaften die Steuerentlastung nicht gewährt werden muss; die Zwischenschaltung einer funktionslosen Gesellschaft aus steuerlichen Gründen, um eine Entlastung von der Abzugssteuer zu erreichen, stellt grundsätzlich einen Missbrauch (§ 42 AO) dar. Das Gesetz dient dazu, den Begriff "funktionslos" näher zu definieren. Im Folgenden wird daher eine Gesellschaft, die einen der Tatbestände der § 50d Abs. 3 S. 1 EStG erfüllt, als "funktionslos" bezeichnet.

 

Rz. 62a

Der Anwendungsbereich von § 50d Abs. 3 EStG i. d. F. bis Vz 2006 wurde durch den BFH[1] stark eingeschränkt. Deshalb wurde die Vorschrift durch G. v. 13.12.2006[2] ab Vz 2007 neu gefasst. Dabei wurden insbesondere folgende Aussagen des BFH durch gegenteilige gesetzliche Regelungen verdrängt:

  • Nach Ansicht des BFH mussten die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 50d Abs. 3 EStG kumulativ vorliegen (arg. "und"). Nach der Neufassung gilt dies nur, wenn eines der Funktionsmerkmale (ursprünglich Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3, jetzt Abs. 3 S. 1 Nr. 1–2) nicht erfüllt ist. Die Merkmale in Abs. 3 S. 1 Nr. 1–3 bzw. Nr. 1–2 gelten daher alternativ, nicht kumulativ.
  • Der BFH hatte auf die Konzernpolitik bzw. Verhältnisse anderer Konzerngesellschaften abgestellt ("Merkmalszurechnung"); nach Abs. 3 S. 2 kommt es nur noch auf die Verhältnisse der Gesellschaft an, die die Entlastungsberechtigung geltend macht.
  • Der BFH hatte einen sehr weiten Begriff der "eigenen Wirtschaftstätigkeit" zugrunde gelegt. Abs. 3 S. 2 konkretisieren diesen Begriff und fassen ihn enger.
  • Der BFH hatte das Fehlen eigenen Personals und eigener Geschäftsräume für unbeachtlich erklärt. Abs. 3 S. 1 Nr. 2 (früher Nr. 3) setzt jetzt einen dem Geschäftszweck der Gesellschaft entsprechenden angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb und die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr voraus.
 

Rz. 62b

Gegen die Fassung der Vorschrift durch das G. v. 13.12.2006[3] wurden europarechtliche Bedenken geltend gemacht, insbesondere hinsichtlich des Merkmals, dass 10 % der Bruttoerträge der ausl. Gesellschaft aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen mussten. Diese absolute Grenze von 10 % ließ keinen Gegenbeweis zu (zur europarechtlichen Problematik dieser Regelung Rz. 145). Durch G. v. 7.12.2011[4] wurde die Vorschrift wie folgt umgestaltet, um diese europarechtlichen Probleme zu beseitigen:

  • Die Voraussetzung, dass die Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen müssen, wurde aus der bisherigen Nr. 2 in den Einleitungssatz verlagert und hat daher, ebenso wie die Voraussetzung, dass nicht berechtigte Personen beteiligt sind, nunmehr allg. Charakter. Die Grenze von 10 % wurde nicht übernommen.
  • Die Voraussetzung der Nr. 1, dass wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen, wurde auf die Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit bezogen.
  • Entsprechend wurde Nr. 2 aufgehoben und die bisherige Nr. 3 zur neuen Nr. 2.
  • Der neue S. 4 bestimmt, dass die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe sowie für das Vorliegen eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs den Stpfl. trifft.
 

Rz. 62c

Die Neuregelungen gelten nach Art. 25 Abs. 1 des G. v. 7.11.2011[5] ab 1.1.2012. Die Verwaltung wendet die Vorschrift rückwirkend in noch nicht bestandskräftig entschiedenen Fällen an, wenn dies für den Stpfl. günstiger ist als die bisherige Regelung.[6]

Auch gegen die Neufassung der Vorschrift sind europarechtliche Bedenken geltend gemacht worden, die der EuGH geteilt hat.[7]

Ein weiteres Verfahren ist am 14.6.2018 vom EuGH entschieden worden.[8]

Die Finanzverwaltung hat hieraus Konsequenzen zu ziehen versucht und die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG eingeschränkt.[9]

Diese Regelung gilt nur für die Entlastung von der KapESt nach § 43b EStG, also nur für Fälle der Mutter-Tochter-Richtlinie. Nicht erfasst werden Erstattungsansprüche von Gesellschaftern, die in EWR-Staaten und Drittstaaten ansässig sind, sowie Erstattungsansprüche aufgrund der Zins- und Lizenzrichtlinie. Insoweit, und auch in einigen Einzelfragen, bleibt das BMF-Schreiben hinter den europarechtlichen Anforderungen zurück. Auch genügt die Einschränkung der Regelung durch ein BMF-Schreiben nicht; vielmehr muss § 50d Abs. 3 EStG geändert werden.

 

Rz. 62d

Eine besondere Frage entsteht im Verhältnis zur Schweiz. Die Mutter-Tochter-Richtlinie ist auf die Schweiz anwendbar, sodass die Entscheidung des EuGH[10] ebenfalls Geltung entfaltet. In § 43b EStG ist die Schweiz aber, anders als in § 50g Abs. 6 EStG, nicht aufgeführt. Das beruht darauf, dass das internationale Schachtelprivileg schon nach dem DBA-Schweiz ab einer Beteiligungsquote von 10 % Anwendung findet. Daher ging der Gesetzgeber davon aus, dass die auf die Schweiz anwendbare Mutter-Tochter-Richtlinie insoweit keine weitergehende Rechtswirkungen entfaltet und eine Einbeziehung der Schweiz in § 43b EStG daher überflüssig sei. Damit wird die KapESt-Entlastung im Verhältnis zur Schw...

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