Rz. 346

Die Bildung von Rückstellungen kann auch geboten sein, wenn am Bilanzstichtag noch keine unbedingte Verpflichtung besteht, etwa weil der rechtliche Entstehungsgrund der Verpflichtung erst in der Zukunft liegt, weil die Verbindlichkeit zwar schon entstanden ist, der Kaufmann sich ihr aber noch entziehen kann, oder weil zwar eine Verbindlichkeit rechtlich nicht entstehen wird, der Kaufmann sich der Leistung aber faktisch nicht entziehen kann (faktische Verpflichtung). Maßgebend ist, dass die ernsthafte Möglichkeit der Leistung auf die wirtschaftliche Verbindlichkeit besteht. Das kann der Fall sein bei nichtigen Geschäften, die die Parteien aber als gültig behandeln (§ 41 AO), der Kulanzrückstellung (Rz. 458) sowie bei Verjährung der Verbindlichkeit, wenn sich der Kaufmann aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen kann oder will. Zusammengefasst werden diese Fälle unter dem Oberbegriff der wirtschaftlichen Last.

 

Rz. 347

Der rechtfertigende Grund für diese Rückstellung ist nicht eindeutig. Häufig wird sie mit der dynamischen Bilanztheorie begründet: Belastungen, deren betriebswirtschaftliche Ursachen in der Vergangenheit liegen, sollen in der Bilanz berücksichtigt werden, auch wenn rechtlich eine Verpflichtung zum Bilanzstichtag noch nicht entstanden ist.[1] In Übereinstimmung mit der nach § 249 HGB geltenden statischen Bilanzauffassung, wonach nur "Verbindlichkeiten" zurückgestellt werden können, ist jedoch auch die wirtschaftliche Last als Verbindlichkeit aufzufassen, und zwar als nicht rechtlich, wohl aber nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise begründete Verbindlichkeit, der sich der Kaufmann ebenso wenig entziehen kann wie einer rechtlichen Verbindlichkeit. Ohne Bedeutung ist es dann, ob diese wirtschaftliche Verbindlichkeit später zu einer rechtlichen Verbindlichkeit erstarken wird oder nicht (wie bei der Garantieleistung aus Kulanzgründen).

 

Rz. 348

Wenn die Rückstellung für eine wirtschaftliche Last damit auch nach der statischen Bilanztheorie begründet werden kann, lässt sich doch nicht übersehen, dass auch starke Bezüge zu der dynamischen Bilanzauffassung bestehen. Die Rückstellung für wirtschaftliche Lasten steht damit zwischen der statischen und der dynamischen Bilanzauffassung. Auch die statische Bilanztheorie bedarf nämlich zur Konkretisierung der Rückstellung Argumenten aus dem Umkreis der dynamischen Bilanztheorie, und zwar der "wirtschaftlichen Verursachung". An sich ist der Gedanke der wirtschaftlichen Verursachung der statischen Bilanztheorie fremd (Rz. 352); besteht eine Verpflichtung rechtlich, ist sie ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Verursachung als Rückstellung oder Verbindlichkeit zu passivieren. Bei der Passivierung der wirtschaftlichen Last wäre dann aber eine sachgerechte Abgrenzung von Aufwandsrückstellungen und sogar von Rücklagen (z. B. für zukünftige wirtschaftliche Risiken) nicht mehr möglich; das Merkmal der wirtschaftlichen Verursachung dient hier einer sachgerechten Abgrenzung (Rz. 352ff.).

[1] Mayer/Wegelin, DStZ 1980, 265 m. w. N.

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