Rz. 325

Nach der statischen Bilanzauffassung (vgl. Rz. 12) hat die Bilanz in erster Linie die Aufgabe, die zu einem bestimmten Stichtag vorhandenen Vermögensgegenstände und Schuldpositionen vollständig und mit dem richtigen (d. h. vorsichtig angesetzten) Wert aufzuführen. Dabei kommt der Bildung der Rückstellungen die Aufgabe zu, auch die Schulden richtig und vollständig zu erfassen. Als Rückstellung ausgewiesen werden daher grundsätzlich solche Verbindlichkeiten, die sich wegen der Ungewissheit hinsichtlich Grund und/oder Höhe einer Bilanzierung als Verbindlichkeit (noch) entziehen.

Nach der dynamischen Bilanzauffassung dienen Rückstellungen nicht dem vollständigen Schuldenausweis, sondern der verursachungsgerechten Verrechnung der Aufwendungen und damit der periodengerechten Gewinnabgrenzung. Vgl. hierzu Rz. 331.

 

Rz. 326

Weder § 249 HGB noch § 5 EStG geben eine Definition der Rückstellungen.

Nach § 249 Abs. 1, 2 HGB dürfen nur folgende Rückstellungen gebildet werden:

  • Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, Rz. 335ff.;
  • Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften, Rz. 442ff.;
  • Rückstellungen für im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung oder Abraumbeseitigung, Rz. 453ff.;
  • Rückstellungen für Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, Rz. 457;
  • sonstige Aufwandsrückstellungen, Rz. 456.

Diese Aufzählung ist abschließend; für andere Zwecke dürfen daher keine Rückstellungen gebildet werden.[1]

 

Rz. 327

Aus § 249 Abs. 1 HGB ergibt sich lediglich, dass Rückstellungen "für ungewisse Verbindlichkeiten" gebildet werden. Sie sind also Verbindlichkeiten, unterliegen aber einer Ungewissheit. Hieraus ergibt sich, dass der Rückstellung ein Sachverhalt zugrunde liegen muss, der den Kaufmann verpflichtet, einem Dritten gegenüber eine Leistung zu erbringen ("Schuldcharakter"; vgl. Rz. 338ff.). Die Rückstellung berücksichtigt daher einen künftigen Güterabfluss, der (nach Grund und/oder Höhe) noch nicht sicher ("Ungewissheit", vgl. Rz. 372), wohl aber wahrscheinlich ist ("Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme"; vgl. Rz. 362).

Die Rückstellung kann aber nicht jeden künftigen Güterabfluss berücksichtigen; es bestehen Einschränkungen unter drei Aspekten.

 

Rz. 328

Der erste Aspekt besteht darin, dass künftig verursachte Güterabflüsse nicht berücksichtigt werden dürfen. Die Rückstellung dient dem richtigen Vermögensausweis zum Bilanzstichtag, darf also nur Verursachung bis zum Bilanzstichtag berücksichtigen ("wirtschaftliche Verursachung", vgl. Rz. 352). Insoweit kann die Rückstellung auch aufgefasst werden als künftige Belastung von in der Vergangenheit erzielten Erträgen. In diesem Aspekt weist die Rückstellung einen starken Bezug zum Realisationsprinzip auf: Soweit die Erträge realisiert sind, müssen die dazugehörigen Belastungen durch eine Rückstellung berücksichtigt werden (vgl. BFH v. 25.8.1989, III R 95/87, BStBl II 1989, 893; Eibelshäuser, BB 1987, 860; Kraus, StuW 1988, 133; Weber-Grellet, DStR 1996, 896; zum Realisationszeitpunkt im Einzelnen vgl. Rz. 66ff.). Allerdings ist zu beachten, dass nicht die Aufwendungen realisiert sein müssen (sie sind ja gerade ungewiss, also noch nicht realisiert), sondern die Erträge. Soweit die genannten Autoren allerdings das Realisationsprinzip als alleinigen Maßstab nehmen, ist das unrichtig: es gibt Rückstellungen, die nicht nach dem Realisationsprinzip im Zusammenhang mit Erträgen beurteilt werden können, da die Aufwendungen nicht mit einem Umsatzgeschäft zusammenhängen. Beispiel ist etwa die Schadensersatzverpflichtung wegen einer unerlaubten Handlung. Zum Begriff der wirtschaftlichen Verursachung vgl. auch Rz. 352.

 

Rz. 329

Die zweite Einschränkung der Berücksichtigung des künftigen Vermögensabflusses ergibt sich aus dem Schuldcharakter der Rückstellung. Eine Schuld kann immer nur einer Person gegenüber bestehen. Der künftige Vermögensabfluss muss sich daher aus der rechtlichen oder tatsächlichen Beziehung zu einer Person ergeben, wobei es ohne Bedeutung ist, ob es sich hierbei um eine natürliche oder juristische Person oder um eine juristische Person des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts handelt. Ergibt sich der künftige Vermögensabfluss nicht aus einer (Schuld-)Beziehung zu einer Person, sondern aus der Beziehung zu einer Sache oder aus der Eigenschaft einer Sache, besteht keine "Schuld", sodass eine Rückstellung nicht gebildet werden kann. Künftige Vermögensminderungen aus der Beziehung zu einer Sache sind mit anderen bilanziellen Mitteln, etwa der Teilwertabschreibung bzw. Wertberichtigung auf diese Sache, zu berücksichtigen (vgl. Eifler, HdJ, Abt. III/5, Rdn. 11).

In dem Erfordernis des Schuldcharakters spiegelt sich in besonderem Maße die statische Bilanztheorie wieder.

 

Rz. 330

Als dritter Aspekt dürfen Rückstellungen nur künftig anfallende Vermögensabflüsse berücksichtigen, die bilanziell Kosten (Betriebsausgaben) sind. Sind die Aufwendungen zu aktivieren, sind sie bei Abfluss (noch) nicht gewinnmindernd gelt...

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