Rz. 99

Im Rahmen des Besteuerungsverfahrens werden als Folge des Prinzips der Jahressteuer nach § 2 Abs. 7 S. 1 EStG die Besteuerungsgrundlagen eines jeden Jahrs neu ermittelt und rechtlich gewürdigt (§ 25 Abs. 1 EStG; Grundsatz der Abschnittsbesteuerung).

 

Rz. 100

Das FA ist daher nicht an seine in früheren Jahren getroffenen Feststellungen oder seine früher vertretene – nunmehr als unrichtig erkannte – Rechtsauffassung gebunden[1], selbst wenn der Stpfl. darauf vertraut hat.[2] Auch eine großzügigere Sachbehandlung bindet nicht für die Zukunft.[3] Dies gilt insbesondere für unverbindliche Auskünfte.[4] Das FA muss seine als unrichtig erkannte Rechtsauffassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgeben.[5] Auch eine bei der Festsetzung der Vorauszahlungen vertretene Rechtsansicht ist daher nicht bindend.[6] Eine andere Entscheidung ist auch bei Dauersachverhalten möglich, in denen die Finanzverwaltung eine für den Stpfl. günstige Auffassung vertreten hat.[7] So können auch die der AfA zugrunde gelegten Anschaffungs- oder Herstellungskosten ohne Bindung an frühere Jahre einer erneuten Beurteilung unterzogen werden, ebenso wie z. B. die Höhe der Erhaltungsaufwendungen in jedem Jahr des Verteilungszeitraums nach § 82b EStDV gesondert zu beurteilen ist.[8] Auch ein bei einer Außenprüfung festgestellter Sachverhalt bindet die Finanzverwaltung nicht dauerhaft.[9] Der Stpfl. kann sich daher grds. nicht auf die steuerliche Behandlung eines Sachverhalts in früheren Jahren berufen.[10]

 

Rz. 101

Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen. Eine Bindung des FA an andere Entscheidungen bei der Beurteilung der Besteuerungsgrundlagen kann sich z. B. in folgenden Fällen ergeben:

  • Grundlagenbescheide, z. B. Feststellungsbescheide[11], auch negative Feststellungsbescheide.[12] Die vom Lage-FA festgestellten Grundbesitzwerte sind daher für die GrESt-Festsetzung bindend. Sie können nur mit Rechtsbehelfen gegen die Feststellungsbescheide, nicht aber gegen den darauf beruhenden GrESt-Bescheid angefochten werden.[13]
  • Bindung an die amtlichen Ausweise und Bescheinigungen i. S. v. § 65 EStDV.[14] Die Nachweiserfordernisse gem. § 65 Abs. 2 EStDV (i. d. R. Vorlage eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "H") beziehen sich auf das Merkmal der Hilflosigkeit sowohl für den Behinderten-Pauschbetrag als auch für den Pflegepauschbetrag. Die Gewährung des Pflegepauschbetrags setzt den Nachweis der Hilflosigkeit durch das Ausweisverfahren bzw. Bescheinigungsverfahren gem. § 65 EStDV voraus.[15]
  • Bindung nach Treu und Glauben.[16] Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben kann eigenes Verschulden des Stpfl. unbeachtlich sein, wenn das FA aufgrund eines nachhaltigen Verhaltens einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.[17]
  • Bindung aufgrund einer verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO).[18] Die FÄ und das BZSt können unter den Voraussetzungen des § 89 Abs. 2 S. 1 AO und der StAuskV auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Der Antrag muss schriftlich gestellt werden und die in § 1 Abs. 1 StAuskV bezeichneten Angaben enthalten. Zusätzlich soll der Antragsteller nach § 89 Abs. 4 S. 2 AO Angaben zum Gegenstandswert der Auskunft machen.
  • Bindung aufgrund einer tatsächlichen Verständigung.[19] Eine tatsächliche Verständigung ist nur wirksam, wenn auf der Seite des FA ein Amtsträger beteiligt ist, der zur Entscheidung über die Steuerfestsetzung befugt ist. Das kann bei einer veranlagenden Betriebsprüfung auch der Sachgebietsleiter der Betriebsprüfungsstelle sein.[20]

    Eine nachträgliche Genehmigung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Sachgebietsleiters reicht nicht aus.[21]

  • Verbindliche Zusage oder zusageähnliches Verhalten (§§ 204ff. AO).[22] Aus einer Auskunft kann eine Bindung nur abgeleitet werden, wenn der Stpfl. die (verbindliche) Zusage beantragt und das FA eine solche ohne Einschränkung erteilt hat. Das FA ist nur dann gebunden, wenn es für einen konkreten Sachverhalt, dessen steuerrechtliche Beurteilung zweifelhaft und der für die wirtschaftliche Disposition des Stpfl. bedeutsam ist, die Beurteilung in einem bestimmten Sinn zusichert[23] und die verbindliche Zusage geltendem Recht entspricht (§ 206 Abs. 2 AO).[24]
  • Verwirkung, wenn nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Steueranspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheint.[25] Verwirkung tritt ein, wenn ein Berechtigter durch sein Verhalten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung seines Rechts als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muss. Nach den Grundsätzen der Abschnittsbesteuerung reicht die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts in der Vergangenheit nicht aus.[26]
  • Bindung an einen falschen Bilanzansatz, sofern eine Berichtigung an der Fehlerquelle nicht mehr möglich ist.[27] Eine Rückwärtsber...

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