Rz. 373

Nach § 20 Abs. 6 S. 4 EStG dürfen Verluste aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, nur mit Gewinnen aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden. § 20 Abs. 6 S. 2 und 3 EStG gilt sinngemäß. Der Gesetzgeber rechtfertigt das Verbot des horizontalen Verlustausgleichs bei Aktienverlusten in § 20 Abs. 6 S. 4 EStG mit der Notwendigkeit der Verhinderung von durch Spekulationsgeschäfte abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken. Die Erfahrung der Vergangenheit habe gezeigt, dass Kursstürze an den Aktienmärkten zu einem erheblichen Verlustpotenzial bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. d. § 23 EStG a. F. geführt haben. Für das gesamte Steueraufkommen hätten diese Verluste zwar keine Bedeutung, da Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften lediglich mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechnet werden konnten. Würde man jedoch nach Einführung der Abgeltungsteuer eine Verrechnung von Veräußerungsverlusten aus Aktien mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen zulassen, bestünde die Gefahr, dass bei vergleichbaren Kursstürzen wie in der Vergangenheit innerhalb kürzester Zeit Steuermindereinnahmen in Milliardenhöhe drohen.[1] Diese Begründung kann nicht überzeugen (Einzelheiten Rz. 50ff.). Die vom Gesetzgeber angestellten Erwägungen sind rein fiskalischer Natur und als solche nicht geeignet, eine Durchbrechung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu rechtfertigen. Auch wenn der Gesetzgeber Maßnahmen ergreifen muss, um die Stabilität der öffentlichen Haushalte und die Einhaltung der diesbezüglichen Vorgaben des Verfassungs- und Europarechts zu gewährleisten, muss er auf eine gleichmäßige Verteilung der öffentlichen Lasten achten. Sonderlasten für einzelne Stpfl. lassen sich mit der Notwendigkeit einer Sicherung des Steueraufkommens nicht begründen, zumal die Argumentation des Gesetzgebers nur vorgeschoben sein dürfte. In der Sache ging es beim Verrechnungsverbot für Aktienverluste eher um eine Gegenfinanzierung von Lockerungen bei der Zinsschranke, die zu keiner Belastung der Unternehmen an anderer Stelle führen sollte, weshalb sich der Gesetzgeber zu einer Zusatzbelastung der privaten Kapitalanleger entschlossen hat.[2] Hinzu kommt, dass die getroffene Regelung auch nicht folgerichtig ausgestaltet ist. Eine folgerichtige Umsetzung hätte erfordert, dass der Gesetzgeber nicht nur die Direktanlage in Aktien, sondern auch die indirekte Aktienanlage, wie etwa Aktienanleihen und Aktienzertifikate sowie Finanzprodukte, die mit deutlich mehr Risiken als Aktien verbunden sind, wie etwa Optionsscheine, in die Verlustverrechnungsbeschränkung mit einbezieht. Das Argument des Gesetzgebers, diese Produkte seien unter Anlegern nicht so verbreitet wie Aktien, geht fehl, da es für die Gefährdung der öffentlichen Haushalte nicht auf die Verbreitung, sondern allein auf das Volumen ankommen kann, in dem die Anleger in diese Produkte investiert haben. Insgesamt betrachtet, kann der – durch § 20 Abs. 6 S. 4 EStG bewirkte – Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit damit nicht mehr als gerechtfertigt angesehen werden. Die Regelung ist u. E. verfassungswidrig.

 

Rz. 374

Hält man § 20 Abs. 6 S. 4 EStG gleichwohl für anwendbar, so ist im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich zu beachten, dass die Vorschrift ausschließlich Verluste erfasst, die dem Stpfl. aus der Direktinvestition in Aktien erwachsen. Unter § 20 Abs. 6 S. 4 EStG fallen daher nur Verluste, die aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen oder ausl. AGs entstehen. Mit Blick auf ausl. AGs muss eine strukturelle Vergleichbarkeit mit einer inländischen AG gegeben sein.[3] Ebenfalls erfasst sind Anteile an Investmentfonds i. S. d. § 1 Abs. 1b InvStG und Investitionsgesellschaften i. S. d. § 1 Abs. 1c InvStG, die als AG strukturiert sind, sowie Anteile an REIT-AGs i. S. d. § 1 Abs. 1 REITG. Nicht unter § 20 Abs. 6 S. 4 EStG fällt dagegen die indirekte Investition in Aktien mithilfe von Aktienanleihen, Aktienzertifikaten, Aktienoptionen und ähnlichen Derivaten, bei denen Aktien nur als Bezugspunkt für die Wertermittlung dienen.[4] Auch Anteile an Investmentfonds i. S. d. § 1 Abs. 1b InvStG und Investitionsgesellschaften i. S. d. § 1 Abs. 1c InvStG, die nicht als AG agieren, werden von der Regelung nicht erfasst. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung[5] ist § 20 Abs. 6 S. 4 EStG auch nicht auf "American Depositary Receipts", "German Depositary Receipts" und "English Depositary Receipts" anwendbar. Hierbei handelt es sich um Zertifikate, die lediglich einen Bestand von im Inland verwahrten inländischen Aktien abbilden, um diese im Ausland handelbar zu machen. Als indirekte Investition in Aktien fallen sie nicht unter § 20 Abs. 6 S. 4 EStG.[6] Zu beachten ist ferner, dass § 20 Abs. 6 S. 4 E...

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