Rz. 32

Zu den klassischen Einkommenstheorien gehört zunächst die sog. Quellentheorie[1], wonach Einkommen eine ständig fließende Quelle voraussetzt. Einkommen ist danach die "Gesamtheit aller Sachgüter, die dem Einzelnen innerhalb einer bestimmten Periode als Erträge dauernder Quellen der Gütererzeugung … zur Verfügung steht". Demgegenüber führt eine Vermögensveränderung an der Quelle selbst nicht zu Einkommen. Steuerbar sind damit nur die laufenden Einkünfte, nicht aber Einkünfte aus der Veräußerung der Quelle, des Vermögens selbst: Einkommen können nur die Äpfel sein, nicht aber Erträge aus der Veräußerung des Apfelbaums.

 

Rz. 33

Nach der Reinvermögenszugangstheorie[2] ist Einkommen der "Zugang von Reinvermögen während einer gegebenen Periode". Hierzu rechnen alle Reinerträge inklusive aller Nutzungsrechte, geldwerte Leistungen Dritter und nicht realisierte Wertzuwächse: nicht nur die Äpfel sind Einkommen, sondern auch Erträge aus der Veräußerung des Apfelbaums.

Beide Theorien haben sich nicht durchsetzen können. Die Reinvermögenszugangstheorie wird dem Postulat der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwar am besten gerecht, da jeglicher die Leistungsfähigkeit erhöhender Zugang erfasst wird, während dies der Quellentheorie wegen ihrer Beschränkung auf die Erträge dauernder Quellen nicht gelingt.[3] Die Verwirklichung der Reinvermögenszugangstheorie im Reichseinkommensteuergesetz v. 29.3.1920 hat aber als größten Mangel gezeigt, dass die weite Definition des Einkommens nicht in der Lage war, ein brauchbares Abgrenzungskriterium für außerhalb des Einkommensbegriffs bleibende Vermögenszugänge zu geben. § 12 EStG 1920 enthielt einen Katalog von "nicht steuerbaren Einkommen", der sich als kaum praktikabel erwies. Allein die Besteuerung der Nutzung privater Konsumgüter ist letztlich praktisch nicht möglich, sodass der Gesetzgeber das letzte Überbleibsel, die Besteuerung des Nutzungswerts der eigenen Wohnung (§ 21a EStG a. F.) ab 1987 abgeschafft hat.[4] Letztlich führt die Besteuerung nicht realisierter Vermögenszuwächse zu einer Substanzbesteuerung und verstößt damit gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.

 

Rz. 34

Die Quellentheorie, die Grundlage des Preußischen EStG v. 24.6.1981 war, ist insbesondere durch jegliche Ausgrenzung von Wertveränderungen des Quellenvermögens zu eng. Sie kann auch einmalige Einnahmen nicht erfassen und verstößt damit ebenfalls gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip. Die Verwendung des Begriffs "Einkunftsquelle" in § 15b EStG ab 2006[5] kann nicht als Übernahme des Quellenbegriffs gesehen werden.[6]

[1] Grundlegend Fuisting, Die Preußischen direkten Steuern, 4. Bd.; Berlin 1902, 110, 147ff.
[2] Grundlegend v. Schanz, FinArch 13, 1896, 1ff.; FinArch 39, Halbband 2, 1922, 107ff.
[3] Tipke, Steuerrechtsordnung II, 564; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rz. 32.
[4] Vgl. i. E. Tipke, Steuerrechtsordnung II, 565f.
[5] Zuvor seit 1999 in § 2b EStG.
[6] Ratschow, in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 2 EStG Rz. 34.

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