Rz. 10

Aus dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit leitet sich das sog. Nettoprinzip ab. Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen Einkünfte der ESt. Der Begriff der Einkünfte ist nach § 2 Abs. 2 EStG ein Nettobegriff, er setzt bereits eine Rechenoperation voraus, bei der steuerbare Einnahmen um Erwerbsaufwendungen (Betriebsausgaben, Werbungskosten) gekürzt worden sind. Die rechtlichen Voraussetzungen dieser Berechnung ergeben sich aus §§ 4 bis 7k EStG bzw. §§ 8 bis 9a EStG. Im Ergebnis gehen somit nur die Nettoerträge in die Bemessungsgrundlage ein. § 2 Abs. 2 EStG wird daher allgemein als Rechtsgrundlage des sog. objektiven Nettoprinzips angesehen.[1] Das EStG kann nur das besteuern, was der Stpfl. an Vermögensmehrung im Rahmen einer der 7 Einkunftsarten erlangt hat. Nur insoweit ist seine Leistungsfähigkeit gestiegen. Erwerbsaufwendungen (Betriebsausgaben, Werbungskosten), die durch seine Tätigkeit veranlasst sind, stehen ihm zur Befriedigung privater Bedürfnisse und damit zur Zahlung von Steuern nicht mehr zur Verfügung und sind daher aus der Bemessungsgrundlage auszuscheiden. Übersteigen die Erwerbsaufwendungen die Einnahmen, entsteht ein Verlust (Rz. 56ff.).

 

Rz. 11

Das BVerfG hält eine Durchbrechung des Nettoprinzips für zulässig und lässt es offen, ob das Prinzip Verfassungsrang hat, da Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grunds bedürfen (Rz. 9).[2]

Der BFH rechnet das Nettoprinzip ebenfalls zu den grundlegenden Ordnungsprinzipien des geltenden Einkommensteuerrechts.[3]

Die überwiegende Auffassung im Schrifttum hält das Nettoprinzip für ein Grundprinzip des Einkommensteuerrechts, das im Gebot der Folgerichtigkeit seine verfassungsrechtliche Grundlage findet, das aber selbst keinen Verfassungsrang erlangt, sodass es bei der hinreichenden Beachtung der Folgerichtigkeit eingeschränkt werden kann. Dies verlangt das Vorliegen eines besonderen sachlichen Grunds (Rz. 9; § 9 EStG Rz. 1 ).[4]

Demgegenüber wird dem objektiven Nettoprinzip Verfassungsrang zugemessen.[5]

 

Rz. 12

Gleichwohl ist das Nettoprinzip in der Vergangenheit zunehmend eingeschränkt worden. Die Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs gem. § 4 Abs. 5 EStG umfasst mittlerweile 16 Vorschriften, die gem. § 9 Abs. 5 EStG auch für den Werbungskostenabzug gelten.

Lediglich die Regelung zur Beschränkung der Abziehbarkeit der Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung auf 2 Jahre, die Neuregelung der Pendlerpauschale und zur Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind vom BVerfG (teilweise) beanstandet und für verfassungswidrig erklärt worden (Rz. 9).

Einschränkungen der Abziehbarkeit von Aufwendungen und Verlustausgleichsbeschränkungen sind in §§ 4h, 15 Abs. 4, 15a, 15b, 17 Abs. 2 S. 4, 20 Abs. 9, 22 Nr. 3 (auch i. d. F. ab Vz 1999), 23 Abs. 3 S. 4 EStG normiert. Es fragt sich, wozu ein Prinzip dient, dessen Änderung in das nahezu freie Belieben des Gesetzgebers gestellt ist, wobei das BVerfG die Begründung für eine Einschränkung bereits vorgegeben hat (Rz. 9).

Gegenstand des Nettoprinzips ist auch die Frage, ob und in welchem Umfang sog. gemischte Aufwendungen abgezogen werden können.[6]

[1] Tipke, SteuerrechtsO, Bd. II, 762ff.; Kirchhof, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 EStG Rz. A 127ff., erwerbssicherndes Nettoprinzip; Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 2018, § 2 EStG Rz. 10; Weber-Grellet, FR 2011, 1028; Drenseck, FR 2006, 1.
[4] Krüger, in Schmidt, EStG, 2018, § 9 EStG Rz. 1; Ratschow, in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 2 EStG Rz. 5f.; Paetsch, Schneider, u. a., 2. Steuerrechtliches Symposium im BFH: "Zulässigkeit und Grenzen der Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht", Beihefter zu DStR 2009 Heft 34.
[5] Englisch, Symposium im BFH: "Zulässigkeit und Grenzen der Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht", Beihefter zu DStR 2009, 92, 96.
[6] § 12 EStG Rz. 7ff.; 20ff.; Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 2018, § 2 EStG Rz. 10.

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