Praxis-Beispiel

Gemeiner Wert

Der 60 Jahre alte Rechtsanwalt A nimmt im Jahr 2023 seinen Berufskollegen B in seine Einzelpraxis auf. A und B gründen dazu eine Sozietät in der Rechtsform einer GbR, an der jeder zu 50 % als Gesellschafter beteiligt ist. A bringt seine Einzelpraxis ein, deren Buchwert 100.000 EUR beträgt. Die stillen Reserven und der originäre Praxiswert belaufen sich auf 200.000 EUR. B erbringt eine Bareinlage von 300.000 EUR. Die GbR setzt das eingebrachte Betriebsvermögen unter Anwendung der sog. Bruttomethode[1] in ihrer Eröffnungsbilanz mit dem gemeinen Wert an. Dementsprechend hat die Eröffnungsbilanz folgendes Aussehen:

 
Aktiva Eröffnungsbilanz GbR Passiva
Von A eingebrachtes Betriebsvermögen 300.000 EUR Kapital A 300.000 EUR
Bareinlage B 300.000 EUR Kapital B 300.000 EUR
  600.000 EUR   600.000 EUR

• Ermittlung des steuerpflichtigen Einbringungsgewinns

Für A entsteht im Beispielsfall ein Einbringungsgewinn von 200.000 EUR, der sich wie folgt errechnet:

 
Gesellschaftsrechte (= Kapitalkonto nach Einbringung) 300.000 EUR
./. Buchwert der Praxis (= Kapitalkonto vor Einbringung) 100.000 EUR
= Einbringungsgewinn 200.000 EUR

Der Einbringungsgewinn stellt i. H. v. 50 % von 200.000 EUR = 100.000 EUR einen steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn dar, von dem auf Antrag nach überwiegender Ansicht 45.000 EUR steuerfrei bleiben.[2] Der Freibetrag bleibt also insgesamt erhalten, weil der begünstigte Einbringungsgewinn von 100.000 EUR die Freibetragsgrenze von 136.000 EUR nicht übersteigt.[3]

Der verbleibende Teil von 100.000 EUR ./. 45. 000 EUR = 55. 000 EUR wird wahlweise nach der Fünftelregelung[4] oder auf Antrag mit 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes, mindestens mit 14 %, versteuert.[5] Die andere Hälfte des Einbringungsgewinns (100.000 EUR) gilt als laufender Gewinn[6], der dem Normaltarif unterliegt.

• Neutralisierung des Einbringungsgewinns

Der Einbringungsgewinn von 200.000 EUR kann durch Aufstellung einer negativen Ergänzungsbilanz neutralisiert werden, in der für A ein Minderkapital von 200.000 EUR ausgewiesen wird. Umstritten ist, ob lediglich der nicht begünstigte Teil des Einbringungsgewinns von 100.000 EUR durch eine negative Ergänzungsbilanz neutralisiert werden kann, ohne dass die Steuerbegünstigung für den Restgewinn verloren geht.[7]

• Gewinn im Sonderbetriebsvermögen

Zum eingebrachten Vermögen gehören auch Wirtschaftsgüter, die zwar nicht Gesamthandseigentum geworden sind, aber der Gesellschaft als Sonderbetriebsvermögen I zur Nutzung zur Verfügung stehen. Ein Ansatz zum gemeinen Wert liegt dann nur vor, wenn auch diese Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert angesetzt werden.[8] Ein bei der Einbringung zum gemeinen Wert im Sonderbetriebsvermögen entstehender Gewinn des Einbringenden ist nach § 24 Abs. 3 Satz 3 UmwStG nicht tarifbegünstigt.[9]

Bringt also im Beispielsfall A einen bisher zu seinem Betriebsvermögen gehörenden Pkw, der einen Buchwert von 1 EUR hat, mit dem gemeinen Wert von 20.000 EUR in sein Sonderbetriebsvermögen bei der GbR ein, gilt der Einbringungsgewinn von 19 .999 EUR in vollem Umfang als laufender Gewinn.[10]

[1] Zur Brutto- und Nettomethode im Rahmen des § 24 UmwStG vgl. Stenert, DStR 2020 S. 1776.
[3] R 16 Abs. 13 Satz 9 2. Hs. EStR 2012; a. A. Schmidt/Wacker, EStG, 42. Aufl. 2023, § 16 Rz. 574, wonach der Freibetrag ganz oder teilweise entfällt, wenn der gesamte Gewinn einschließlich des als laufender Gewinn geltenden Teils die Freibetragsgrenze überschreitet.
[7] Für die Zulässigkeit einer negativen Ergänzungsbilanz nur für den nichtbegünstigten Teil des Einbringungsgewinns und Erhalt der Steuerbegünstigung sprechen sich z. B. aus: Streck/Schwedhelm, BB 1993 S. 2420, 2421 und Brandenberg, JbFStR 1994/95 S. 300; a. A Widmann/Mayer, Umwandlungssteuergesetz 1995/Kurzkommentierung Rz. S. 42 (29. Erg.-Lfg./August 1995).

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