Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch einer nicht erwerbstätigen, verwitweten und neu verheirateten Polin mit einem Kind aus erster Ehe bei der Großmutter in Polen

 

Leitsatz (redaktionell)

Für eine in Deutschland lebende Mutter, deren Kind bei der Großmutter in Polen lebt, die dort keinen Antrag auf Adoption des Enkels und keinen Antrag auf polnische Familienleistungen gestellt hat, besteht ein Anspruch auf deutsches Kindergeld.

 

Normenkette

EStG § 63 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 2 S. 1; BKKG § 3 Abs. 2 S. 1; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 1 Buchst. z, Art. 11 ff., Nr. 987/2009 Art. 97; EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.07.2016; Aktenzeichen XI R 28/12)

BFH (Urteil vom 13.07.2016; Aktenzeichen XI R 28/12)

 

Tatbestand

I.

Zu entscheiden ist, ob die Beklagte zu Recht die Kindergeldfestsetzung für die Zeit ab Mai 2010 abgelehnt hat.

Die Klägerin ist polnische Staatsangehörige und lebte bis Dezember 2009 mit ihrer am 30.12.1999 geborenen Tochter T, deren leiblicher Vater verstorben ist, in Polen. Dort bezog sie für T Familienleistungen. Im Dezember 2009 heiratete die Klägerin einen deutschen Staatsangehörigen und zog nach Deutschland. T lebt seitdem bei ihrer Großmutter, der Mutter der Klägerin, in Polen und besucht die dortige Schule. In Deutschland geht die Klägerin keiner beruflichen Tätigkeit nach. Sie betreut ihren am 12.12.2009 geborenen Sohn und wird von ihrem jetzigen Ehemann unterhalten, wobei das monatliche Einkommen der Familie mehr als 1.500 EUR beträgt.

Ausweislich einer Bescheinigung der polnischen Behörden vom 20.10.2010, auf die Bezug genommen wird, betreut die Mutter der Klägerin das Kind zwar tatsächlich, hat jedoch keinen Antrag auf Annahme von T an Kindes Statt gestellt. Zwischen den Beteiligten ist daher unstreitig, dass die Mutter der Klägerin keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen hat.

Den Antrag der Klägerin, ihr Kindergeld für ihre bei der Großmutter in Polen lebende Tochter zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.04.2010 ab.

Am 21.04.2010 (Eingang bei der Familienkasse am 30.04.2010) übermittelte die zuständige polnische Behörde die Formulare E 001, E 401 und E 411. Aus dem E-Formular 001 geht hervor, die Klägerin habe in Polen bis zum 31.01.2010 Familienleistungen erhalten. Im Formular E 411 bestätigt die polnische Behörde, die Mutter der Klägerin habe für die Zeit vom 01.05.2004 bis „laufend” keinen Antrag auf Familienleistungen gestellt und sei in der Zeit vom 27.11.2008 bis zum 21.12.2009 sowie vom 26.01.2010 bis „laufend” nicht erwerbstätig gewesen.

Daraufhin änderte die Beklagte während des Einspruchsverfahrens den Ablehnungsbescheid vom 07.04.2010 mit Bescheid vom 07.09.2010 dahingehend, dass sie der Klägerin Kindergeld für T für die Monate Februar bis April 2010 gewährte. Im Übrigen wies sie den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 08.09.2010 als unbegründet zurück.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, sie habe auch für die Zeit ab Mai 2010 einen Anspruch auf Gewährung des vollen inländischen Kindergeldes für ihre in Polen lebende Tochter T

Die Zahlung von Familienleistungen in Polen sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil das Familieneinkommen der Klägerin und ihres Ehemannes den in Polen maßgebenden Betrag von 504 PLN überschreite.

Bereits aus dem der Beklagten vorliegenden Formular E 411 gehe hervor, dass weder die Klägerin noch die Großmutter des Kindes Anspruch auf polnische Familienleistungen hätten.

Die Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 Nr. 1 und 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 32 Abs. 1 EStG seien erfüllt. § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG sei ausgeschlossen.

Die Beklagte verkenne, dass Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (VO (EG) Nr. 883/2004) eindeutig klarstelle, dass eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat leben, einen Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des EU-Beschäftigungsstaates habe. Dies sei im Falle der Klägerin Deutschland.

Die Klägerin hebt des Weiteren hervor, dass für ihre Tochter als ein in der EU lebendes Kind zumindest von einem EU-Mitgliedstaat Familienleistungen zu erbringen seien. Die Konkurrenzregelungen der EU-Verordnung dürften nicht dazu führen, dass für ihre Tochter in keinem Land ein Anspruch auf Familienleistungen bestehe.

Die Klägerin beantragt,

  1. die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 07.04.2010 in Form der Einspruchsentscheidung vom 08.09.2010 zu verpflichten, ihr für ihre in Polen lebende Tochter T Kindergeld für die Zeit ab Mai 2010 zu gewähren, hilfsweise sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,
  2. hilfsweise die Revision zuzulassen,
  3. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Zur Begründung verweist sie auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, die Mutter der Klägerin habe in Polen zwar...

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