Entscheidungsstichwort (Thema)

Doppelbesteuerung, Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl des Steuergegenstands

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Der Gesetzgeber hat bei der Auswahl des Steuergegenstands und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Dies gilt vor allem dann, wenn er – wie bei der Besteuerung der Alterseinkünfte – komplexe Regelungssysteme umgestalten muss. Eine erhebliche Ungleichbehandlung, die jeglichen sachlichen Grundes entbehrt, weil alle vom Gesetzgeber angestrebten Regelungsziele auch unter Vermeidung der ungleichen Behandlung und ohne Inkaufnahme anderer Nachteile erreicht werden können, braucht von den Betroffenen jedoch nicht hingenommen zu werden. Zudem findet der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum bei der Neuordnung der Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und der Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen im Verbot der Doppelbesteuerung seine Grenze.

2) Eine Doppelbesteuerung von Renteneinkünften ist jedoch nicht gegeben, wenn der voraussichtliche nominelle steuerfreie Rentenanteil, der dem Steuerpflichtigen zufließen wird, höher ist als die aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgebeiträge.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchstabe aa S. 1

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Besteuerung einer Rente.

Der 1966 geborene Antragsteller bezieht seit 2017 eine Berufsunfähigkeitsrente aus dem Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer und der vereidigten Buchprüfer (WPV). Im Streitjahr 2018 floss ihm unstreitig eine Rente in Höhe von 39.437 € zu. Daneben erzielte der Antragsteller Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und machte seine Beiträge zur Steuerberater- und zur Wirtschaftsprüferkammer als Betriebsausgaben geltend.

Bereits gegen den Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheid für 2018, in dem der Antragsgegner die Renteneinkünfte berücksichtigt hatte, legte der Antragsteller mit der Begründung, die Besteuerung seiner Rente sei verfassungswidrig, Einspruch ein und stellte einen gerichtlichen Aussetzungsantrag. Nachdem der Antragsgegner die Vorauszahlungen auf 0 € herabgesetzt hatte, lehnte der Senat den Aussetzungsantrag mit Beschluss vom 24.9.2018 (Az. 9 V 2516/18 E) als unzulässig ab und wies zusätzlich auf die nach seiner Ansicht bestehende Verfassungsmäßigkeit der Rentenbesteuerung hin.

In seiner Einkommensteuererklärung für 2018 gab der Antragsteller die Renteneinkünfte nicht an. Der Antragsgegner setzte die Einkommensteuer mit Bescheid vom 27.5.2019 auf 10.792 € fest und berücksichtigte Renteneinkünfte in Höhe von 29.081 € (39.437 € abzüglich steuerfreier Teil 10.254 € und Werbungskosten-Pauschbetrag 102 €).

Hiergegen hat der Antragsteller am 16.6.2019 Sprungklage erhoben, der der Antragsgegner zugestimmt hat und über die der Senat noch nicht entschieden hat (Az. 9 K 1807/19 E). Der Antragsgegner hat den zunächst bei ihm gestellten Aussetzungsantrag mit Bescheid vom 25.6.2019 abgelehnt. Daraufhin hat der Antragsteller den vorliegenden Aussetzungsantrag bei Gericht gestellt.

Der Antragsteller ist der Auffassung, dass seine Renteneinkünfte im Streitjahr 2018 nicht der Besteuerung unterworfen werden dürften. Von seinen zwischen 1999 und 2017 geleisteten Beitragszahlungen seien im Durchschnitt nur 67,6 % steuerfrei gestellt worden. Die Besteuerung der Rente mit 76 % führe daher zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung, und zwar bezogen auf die voraussichtliche Rentenlaufzeit von 2018 bis 2049 in Höhe eines Betrages von insgesamt mindestens 44.222,83 €. Die in den Rentenzahlungen enthaltenen Wertzuwächse stellten Vermögensmehrungen im Privatvermögen dar, die wegen des Dualismus der Einkunftsarten nicht steuerbar seien. Die gegenteilige Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei für die Übergangszeit weder sachgerecht noch folgerichtig. Eine Aufteilung der Wertsteigerungen entsprechend der begünstigten und der nicht begünstigten Substanz wäre auch leicht und einfach möglich. Die Systemumstellung auf die nachgelagerte Besteuerung von Renten durchbreche die bisherige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Indem das BVerfG insoweit eine Doppelbesteuerung verneine, unterliege es einem Zirkelschluss, da es die Begründung aus dem System der nachgelagerten Besteuerung selbst herleite. Im Übrigen wollten der Gesetzgeber selbst und die Rechtsprechung für private Renten und für überobligatorisch dotierte Riester- und Rürup-Verträge am Dualismus festhalten, und die Wertsteigerungen aus nichtbegünstigter Substanz seien in diesen Fällen weiterhin nicht steuerbar (Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 24.7.2013, BStBl. I 2013, 1022, Tz. 134 ff.). Aufgrund der hinsichtlich seiner Rentenbezüge festzustellenden Doppelbesteuerung dürften im Einkommensteuerbescheid 2018 keine sonstigen Einkünfte mehr berücksichtigt werden, und dies führe zu einer Minderung der bislang festgesetzten Einkommensteuer von 10.792,00 € a...

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