Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtberücksichtigung der „Anleitung zur ESt-Erklärung”

 

Leitsatz (redaktionell)

Vergessene Krankheitskosten sind neue Tatsachen; gleichwohl scheidet eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aus, weil grobes Verschulden auf Seiten des Steuerpflichtigen vorliegt, wenn der Sachverhalt in der „Anleitung zur Steuererklärung” ausdrücklich aufgeführt ist.

 

Normenkette

AO § 173 Abs. 1 Nr. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 03.12.2009; Aktenzeichen VI R 58/07)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Klägerin die Änderung von Einkommensteuerbescheiden wegen neuer Tatsachen verlangen kann.

Die Klägerin ist von Beruf Diplom-X und wurde für die Streitjahre 1998 bis 2000 beim Beklagten – dem Finanzamt (FA) – bestandskräftig zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt.

Mit Schreiben vom 3. Januar 2003 beantragte die Klägerin die Änderung der genannten Steuerfestsetzungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Sie teilte dem FA mit, dass Ihr in den Streitjahren hohe außergewöhnliche Belastungen erwachsen seien. Dabei handele es sich um Aufwendungen für medizinisch notwendige Zahnerhaltungsmaßnahmen infolge einer Kiefererkrankung in Höhe von XX.324,63 DM im Jahr 1998, XX.537,12 DM im Jahr 1999 und XX.213,21 DM im Jahr 2000.

Das FA lehnte eine Änderung der Bescheide mit der Begründung ab, die Klägerin bzw. ihren steuerlichen Berater treffe ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsache. Der Einspruch der Klägerin blieb in der Einspruchsentscheidung (EE) vom 17. Februar 2005 erfolglos.

Mit Ihrer Klage trägt die Klägerin vor,

erst bei der Vorbereitung der Steuererklärungen für 2001 sei erkannt worden, dass die erwachsenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen abziehbar seien. Sie besitze selbst keine tiefgreifenden steuerlichen Kenntnisse und habe daher nicht rechtzeitig erkennen können, dass die Zahnarztrechnungen in der angefallenen Höhe als außergewöhnliche Belastungen abziehbar und deswegen dem Steuerberater für die ESt-Erklärungen der genannten Zeiträume zu übergeben gewesen wären. Ein grobes Verschulden des steuerlichen Vertreters sei auszuschließen, weil sich aus den vorgelegten Unterlagen keinerlei Hinweise auf wesentliche die zumutbare Eigenbelastung und die Erstattungen der Krankenkasse übersteigende Krankheitskosten ergeben hätten. Er habe mit Aufwendungen in dieser Größenordnung nie und nimmer rechnen müssen. Die amtliche Anleitung zur ESt-Erklärung sei der Klägerin selbst nicht zugegangen und habe ihr nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg (Urteil vom 17. November 1995 9 K 309/ 91, Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 1996, 704) vom Bevollmächtigten nicht vorgelegt werden müssen.

Die Klägerin beantragt,

die ESt-Bescheide für 1998, 1999 und 2000 zu ändern und dabei die ESt wie folgt festzusetzen:

  • für 1998 eine ESt von DM 71.609,00;
  • für 1999 eine ESt von DM 120.666,00;
  • für 2000 eine ESt von DM 68.479,00.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist auf die EE und ist weiterhin der Auffassung, dass grobes Verschulden auf Seiten der Klägerin bzw. ihres steuerlichen Vertreters vorliege.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Klage ist nicht begründet.

Der Beklagte war nicht berechtigt und verpflichtet, dem Änderungsantrag der Klägerin auf Grund der Bestimmung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu entsprechen. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt geworden sind.

Die streitgegenständlichen Aufwendungen wurden dem FA erst mit dem Schreiben der Klägerin vom 3. Januar 2003 bekannt. Jedoch hat die Klägerin die nachträgliche Kenntnis grob fahrlässig verschuldet. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie persönlich Schuld trifft oder sie sich das Verschulden ihres Beraters zurechnen lassen muss.

1. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten (Urteil des Bundesfinanzhofs [BFH] vom 28.Juni 1983 VIII R 37/81, BFHE 139, 8, BStBl II 1984, 2). Grobe Fahrlässigkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80, m.w.N.). Ein grobes Verschulden kann vorliegen, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er z.B. eine unvollständige Steuererklärung abgibt. Gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 AO sind die Angaben in der Erklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Um die Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, muss der Steuerpflichtige das Erklärungsformular gewissenhaft durchlesen. Deshalb handelt ein ...

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