rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzlich kein Anspruch eines Unternehmens auf Einsicht in die Akten des FA. gerichtliche Überprüfung einer Entscheidung über einen Antrag auf Einsicht in die Akten des FA während einer laufenden Umsatzsteuerprüfung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das in der Abgabenordnung geregelte Verfahrensrecht im Besteuerungsverfahren enthält keine Regelung, die dem Steuerpflichtigen ein Recht auf die Einsicht in die von den Finanzbehörden geführten Akten einräumt. Dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter steht aber ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zu.

2. Daraus, dass die gesetzlichen Vorschriften der AO eine Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren überhaupt nicht vorsehen, ist abzuleiten, dass die Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Frage kommt. Das ist bei einer Beurteilung des ausgeübten Ermessens zu berücksichtigen, weil die jeweilige Ermächtigungsvorschrift die gesetzlichen Grenzen des Ermessens normiert.

3. In einem umfassenden steuerlichen Prüfungsverfahren liegt es auf der Hand, dass davon auch die steuerlichen Verhältnisse Dritter – und damit das nach § 30 AO zu beachtende Steuergeheimnis – betroffen sind.

4. Das FA ist nicht verpflichtet, dem Gericht Akten oder Aktenteile zu übermitteln, um deren Einsichtnahme im finanzgerichtlichen Verfahren gestritten wird.

5. Das Gericht kann eine behördliche Ermessensentscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht gem. § 102 FGO nur daraufhin überprüfen, ob die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat, die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder dieses Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt hat.

6. Der Anspruch des „Einsichtsuchenden” auf fehlerfreie Ermessensentscheidung ist bereits dann gewahrt, wenn das FA im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat. Eine Überprüfung der Ermessensentscheidung durch das Gericht ist dabei nur möglich, wenn die Finanzbehörde den zu beurteilenden Sachverhalt umfassend ermittelt und die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art mitgeteilt hat.

7. Es bleibt offen, ob das FA seine Ermessenserwägungen tatsächlich darauf stützen dürfte, dass die Verfolgung zivilrechtlicher Haftungsansprüche gegen ein Bundesland oder einen Mitarbeiter keine Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren rechtfertige, weil es sich hierbei um außersteuerliche Gründe handele. Dieser „Ausschlussgrund” könnte möglicherweise gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen, weil sich der Staat damit generell unter Berufung auf ein Ausforschungsverbot berechtigten zivilrechtlichen Ansprüchen entziehen könnte.

 

Normenkette

AO §§ 30, 91 Abs. 1, §§ 364, 5; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; FGO §§ 102, 78

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 19.12.2016; Aktenzeichen XI B 57/16)

BFH (Beschluss vom 19.12.2016; Aktenzeichen XI B 57/16)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt; im Folgenden: FA) zu Recht einen Antrag auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren abgelehnt hat.

Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 27. August 2008 gegründete Kapitalgesellschaft mit Sitz in B. Der Gegenstand ihrer Geschäftstätigkeit ist der An- und Verkauf, Verwaltung und Vermittlung von Abonnementaufträgen, An- und Verkauf von Telekommunikationsverträgen sowie An- und Verkauf sowie Vermittlung von Verträgen auf dem Energiesektor (Strom). Geschäftsführer der Gesellschaft war bis zum 28. April 2014 C.

Konkret ist die Klägerin in der Verlagswerbung tätig. Dabei bedient sie sich verschiedener Vermittlungsunternehmen, die wiederum vorwiegend mit Callcentern zusammenarbeiten. Die daraus entstehenden Abonnements werden zu Verwaltungszwecken an eine Firma D KG weitergereicht, welche die anfallenden Verwaltungsaufgaben erledigt. Die umsatzsteuerliche Sachbehandlung der Abrechnung zwischen dieser Firma und der Klägerin basierte auf einer verbindlichen Zusage des Finanzamts K aus dem Jahr 1995, die aber vom FA als steuerlich zweifelhaft erachtet und insoweit einer Prüfung unterzogen wurde. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013 verwiesen.

Da die Klägerin im Rahmen ihrer monatlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen Vorsteuererstattungsansprüche geltend machte, wurde am 9. November 2011 für die Voranmeldungszeiträume Mai bis August 2011 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung veranlasst. Nachfolgend wurde der Prüfungszeitraum auf Januar 2010 bis März 2012 und Mai 2012 ausgedehnt.

Wegen der fehlenden Zustimmung des FA zu mehreren von der Klägerin im Rahmen von Umsatzsteuer-Voranmeldungen errechneten Vorsteuererstattungsansprüchen beantragte der steuerliche Vertreter der Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Mai 2012 Akteneinsicht.

Wegen der fehlenden Entscheidun...

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