Entscheidungsstichwort (Thema)

Gutglaubensschutz bei der Ausfuhrlieferung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn eine steuerfreie Ausfuhrlieferung nicht vorliegt, dem Unternehmer aber Vertrauensschutz zu gewähren ist; denn dieser ist nicht im Festsetzungsverfahren analog § 6a Abs. 4 UStG zu prüfen.

2. Ist der Lieferer selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns außerstande, zu erkennen, dass die Voraussetzungen für die Befreiung in Wirklichkeit nicht gegeben waren, weil die vom Abnehmer vorgelegten Ausfuhrnachweise gefälscht waren, ist das nach §§ 163, 227 AO bestehende Ermessen der Finanzbehörde auf Null reduziert.

3. Wer selbst die Verantwortung und das Risiko für die Ausfuhr zu tragen hatte, kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn er seinen Verpflichtungen als Ausführer nicht nachkommt.

4. Überlässt es der Ausführer seinen Kunden, seine Verpflichtungen im Rahmen des Ausfuhrverfahrens zu erfüllen, indem er ihnen die Ware im Inland zur Ausfuhr sowie die Einheitspapiere überlässt, so handeln diese als seine Erfüllungsgehilfen mit der Folge, dass er sich deren Bösgläubigkeit zurechnen lassen muss.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 Abs. 4, § 6a Abs. 4; ZK Art. 161 Abs. 2, Art. 162; EWGV 2913/92 Art. 161 Abs. 2, Art. 162; ZKDV Art. 788, 793 Abs. 1, Art. 794, 796 Abs. 1; EWGV 2454/93 Art. 788, 793 Abs. 1, Art. 794, 796 Abs. 1; AO §§ 163, 227, 5

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 29.03.2016; Aktenzeichen XI B 77/15)

BFH (Beschluss vom 29.03.2016; Aktenzeichen XI B 77/15)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

E war Unternehmer und betrieb in den Streitjahren (2002 und 2003) einen Handel mit Elektrogeräten.

Die Umsatzsteuererklärungen führten zu Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Streitjahre stellte der Beklagte (das Finanzamt – FA –) fest, dass hinsichtlich einer Vielzahl von E als steuerfrei erklärter Ausfuhrlieferungen die Zollstempel auf den Ausfuhrbelegen für die jeweiligen Lieferungen (Abgangszollstellen Österreich und Italien) gefälscht waren. In diesem Zusammenhang hatte das FA zwei Gutachten des Zollkriminalamtes eingeholt. Danach sind bei einer Vielzahl von Stempeln nicht die korrekten sog. Kontrollzahlen verwendet worden und die Farbe der österreichischen Zollstempel weicht vom originalen „Austria-Grün” ab. Das FA erließ entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide vom 23. November 2005 und 2. Februar 2006 für die Streitjahre. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Die gefälschten Ausfuhrbelege lassen sich in folgende Gruppen einteilen.

Zum einen betreffen sie Verkäufe von Waren, für die E im eigenen Namen auf so genannten Einheitspapieren die Ausfuhr anmeldete. E war ein sog. zugelassener Ausführer, dem das Hauptzollamt (HZA) München bereits vorab die Ausfuhrpapiere überließ. Die Ware und das Einheitspapier übergab er jeweils an den Käufer, der sie beförderte. Sodann wartete er auf die Rücksendung des Exemplars Nr. 3 des Einheitspapiers. An die Exemplare Nr. 3 des Einheitspapiers ist jeweils die Originalrechnung angeheftet; sie enthält stets die gleiche Bezeichnung des Gegenstandes wie in dem Einheitspapier und außerdem die Quittung des E, dass er den Kaufpreis erhalten hat. In den Einheitspapieren und den Rechnungen werden folgende Bezeichnungen für die gelieferten Gegenstände verwendet: Mobiltelefone GSM, Videokameras, Farbfernsehgeräte, Hifi-Komponenten, Hifi-Systeme, CD-Spieler, Hifi-Lautsprecher, Projektionsfernsehgeräte, Autoradio-CD, Radiorekorder, Spielekonsolen, DVD-Rekorder, Möbel für Rundfunk/TV, Hifi-Lautsprecher-Set, Digital-Fotokamera, Plasma-TV, Telefone drahtlos, CD-Spieler portabel, Autolautsprecher, DVD Spieler und LCDFernseher. Auf andere Unterlagen wird in den vorgelegten Belegen nicht verwiesen. Auf den Belegen befinden sich Fälschungen von österreichischen und italienischen Zollstempeln.

Darüber hinaus verkaufte E in seinem Ladenlokal Waren an ausländische Käufer. Nach den Angaben der Kläger, den Erben verstorbenen E, überließ er ihnen die Waren zum Bruttopreis und zahlte ihnen nach Übergabe des Ausfuhrbelegs die Umsatzsteuer bar aus.

Für diese Lieferungen verwendete er überwiegend die Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigung für Umsatzsteuerzwecke. Er füllte Teil A des Formulars aus. Dort gab er den Namen und die Adresse des Käufers, Menge und Bezeichnung der Ware sowie den Kaufpreis an. Auf dem Formular hat er jeweils angegeben, dass es sich um einen Kaufpreis einschließlich Umsatzsteuer handle; an das Formular ist jeweils die von E ausgestellte Rechnung angeheftet, welche keine Angaben zur Adresse des Kunden enthält und in der Nettobeträge ausgewiesen wurden.

Alle Bescheinigungen sind mit einer Fälschung eines österreichischen Zollstempels versehen. Nur teilweise ist das Feld 14 des Formulars ausgefüllt, wonach die Abgangsstelle versichern kann, dass die Angaben über den Namen und die Anschrift des Abneh...

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