rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederholung des mündlichen Teils der Steuerberaterprüfung wegen Beteiligung von Nichtmitgliedern des Prüfungsausschusses an der Prüfungsberatung. Anforderungen an Zeitkorrektor im offenen Verfahren. Keine Bindung der Prüfer an Musterlösung. Rüge unzureichender Zeit für schwierigen Teil der Prüfung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 14 Abs. 2 S. 2 DVStB enthält keine Regelung, dass bei der mündlichen Steuerberaterprüfung andere Personen als die Mitglieder des Prüfungsausschusses an der Beratung teilnehmen. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 175 Abs. 2 GVG bzw. § 193 GVG. Bei Teilnahme anderer Personen (hier: Hospitation eines künftigen Mitglieds des Prüfungsausschusses) an der Beratung des Prüfungsausschusses ist die mündliche Prüfung zu wiederholen (Anschluss an das Urteil des Sächsischen FG v. 31.5.2011, 2 K 243/10).

2. Der Grundsatz der Chancengleichheit aller Bewerber erfordert, dass bei den Abstimmungsphasen des Erst- und Zweitprüfers über den Notenvorschlag für die schriftlichen Aufsichtsarbeiten sowie in den Zeiträumen der mündlichen Prüfung, in denen sich die Prüfer über die Bewertung der von einem Bewerber erbrachten Leistung und damit über den Prüfungserfolg des Kandidaten im Gespräch austauschen, weder eine Person i. S. d. Art. 14 Abs. 2 S. 2 DVStB noch ein Dritter i. S. d. § 14 Abs. 2 S. 3 DVStB, also auch kein Gasthörer, im Prüfungslokal anwesend sein darf. Bereits in der bloßen Anwesenheit eines Gasthörers in den Beratungsphasen, also auch wenn er keine Fragen stellt oder sonst sich zu den Leistungen der Bewerber äußert, ist eine Verletzung des in § 14 Abs. 2 Satz 1 DVStB normierten Nichtöffentlichkeitsgebots der Beratungen des Prüfungsausschusses zu sehen.

3. Das Gericht kann Prüfungsentscheidungen der Steuerberaterprüfung im Wesentlichen nur daraufhin überprüfen, ob der Prüfungsausschuss allgemein gültige Bewertungsgrundsätze verletzt hat, sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist oder wesentliche Verfahrensbestimmungen außer Acht gelassen hat. Hinsichtlich der fachlichen und prüfungsspezifischen Beurteilung kommt eine gerichtliche Kontrolle im Übrigen nur in Betracht, wenn sich ein Bewertungsfehler auf die Notengebung ausgewirkt haben könnte.

4. Im offenen Verfahren bleibt es dem Zweitkorrektor unbenommen, auf welche Weise er das Ergebnis seiner Korrektur zum Ausdruck bringt. Selbst der Umstand, dass der Zweitkorrektor die eigens für seine Korrektur vorgesehen Spalte sowie einen Korrekturbogen (teilweise) nicht ausfüllt, lässt nicht den Schluss zu, er habe keine eigenständige Bewertung vorgenommen.

5. Bei den schriftlichen Steuerberaterprüfungen gibt es keine amtlichen Musterlösungen mit für die Prüfer verbindlichen Vorgaben. Ein den Prüfern an die Hand gegebenes Bewertungssystem (sei es in Form eines Punkteverteilungsschemas oder einer Lösungsskizze des Aufgabenstellers) darf nicht dazu führen, dass die Übereinstimmung bestimmter Ausführungen in der Klausur mit dem Lösungsvorschlag in der sog. „Musterlösung” oder der Lösungsskizze zwingend zur Vergabe bestimmter Leistungspunkte führt, da hierin eine unzulässige Einschränkung des Prüferermessens läge.

6. Auch wenn ein Fachverlag für Steuerrecht, der seit vielen Jahren „Die Offiziellen Klausuren aus der Steuerberaterprüfung sowie Übungsklausuren mit Lösungen” veröffentlicht, die Meinung vertritt, die für einen bestimmten Teil der schriftlichen Steuerberaterprüfung geforderte Lösung sei selbst von einem Beraterteam in der vorgegebenen Zeit nicht zu erarbeiten gewesen, so kann daraus kein Prüfungsverstoß abgeleitet werden. Der Umstand, dass sämtliche Bewerber der Steuerberaterprüfung mit der Aufgabe konfrontiert werden, wahrt den Grundsatz der Chancengleichheit, solange es sich um keine fehlerhaft gestellte Aufgabe handelt.

 

Normenkette

StBerG § 35 Abs. 1 S. 2; DVStB § 14 Abs. 2 Sätze 1-3, § 24 Abs. 1, § 27 Abs. 1-2, § 28 Abs. 1, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1; GVG § 175 Abs. 2, § 193

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 20.02.2013; Aktenzeichen VII R 30/12)

 

Tenor

1. Die Prüfungsentscheidung vom … 2011 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger erneut zur Ablegung des mündlichen Teils der Steuerberaterprüfung zu laden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom … 2011 über das Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung 2010.

Der am xx.xx.xxxx geborene Kläger hat nach Ableistung seines Wehrdienstes in der Zeit von September 1993 bis März 2001 an der Universität … das Studium der Wirtschaftswissenschaften (mit den V...

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