Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitliche Rückwirkung von Kindergeldablehnungsbescheiden. Kindergeld von Juli 1997 bis September 2000

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird Kindergeld auf dem amtlichen Vordruck ohne zeitliche Begrenzung beantragt, so ist der bestandskräftig gewordene, zur zeitlichen Rückwirkung keine Angaben enthaltende Kindergeld-Ablehnungsbescheid (Nullfestsetzung) auch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben dahin auszulegen, dass die Gewährung von Kindergeld rückwirkend bis zum Verjährungseintritt abgelehnt worden ist. Das gilt auch, wenn eine über die Prüfung der Angaben im Kindergeldantrag hinausgehende Sachverhaltsermittlung durch die Familienkasse nicht stattgefunden hat.

2. Revisionszulassung zur Klärung der Frage, ob die der Verwaltungsansicht entsprechende Bescheidauslegung unter 1. nach Abschaffung der kurzen sechsmonatigen Verjährungsfrist (§ 66 Abs. 3 EStG a.F.) noch beibehalten werden kann oder ob die Verwaltung nunmehr die zeitliche Rückwirkung in ihren Kindergeld-Verwaltungsakten ausdrücklich datieren muss (Rev. beim BFH unter Az. VIII R 12/03 anhängig).

 

Normenkette

AO 1977 § 124 Abs. 1 S. 2, § 118; BGB § 133; AO 1977 § 155; EStG § 31 S. 3; AO 1977 § 119; EStG § 66 Abs. 3, §§ 67, 70 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 28.01.2004; Aktenzeichen VIII R 12/03)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Ablehnung von Kindergeld rückwirkend bis zur Antragstellung oder rückwirkend bis zum Verjährungseintritt Bestandskraft entfaltet.

Der Kläger ist bosnischer Kriegsflüchtling, der seit 1993 in Deutschland nichtselbständig tätig ist. Er hat zwei Kinder (geb. am … und am …), die mit der Ehefrau bei ihm wohnen. Einen Kindergeldantrag vom 25.5.1994 lehnte der Beklagte, das Arbeitsamt K. (im Folgenden: Familienkasse), mit Bescheid vom 14.9.1994 ab, weil der. Kläger ausländerrechtlich im Inland nur geduldet wurde. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 30.10.2000 beantragte der Kläger erneut Kindergeld. Er benutzte hierzu das amtliche Vordrucksformular, in dem keine Angaben darüber zu machen sind, für welchen Zeitraum Kindergeld beantragt wird. Allerdings machte der Kläger – entsprechend der formularmäßigen Fragestellungen Nr. 9 bis 11 – Angaben über den Zeitraum der letzten sieben Monate vor der Antragstellung. Als Anlage zum Vordruck legte er eine Bescheinigung bei, aus der hervorgeht, dass dem Kläger für den Zeitraum 25.7.2000 bis 24.7.2001 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist. Mit Bescheid vom 1.12.2000, auf dessen Wortlaut verwiesen wird (Blatt 28 Kindergeldakte), lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag ab. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 18.4.2001 beantragte der Kläger wiederum Kindergeld. In dem nunmehr verwendeten Vordruck waren unter den Nummern 8 bis 10 Angaben zu den letzten fünf Jahren zu machen. Aufgrund der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzte die Familienkasse mit Bescheid vom 6.8.2001 Kindergeld für zwei Kinder ab Januar 2001 fest. Auch dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 21.3.2002 beantragte der jetzige Prozessvertreter für den Kläger erneut Kindergeld rückwirkend für den Zeitraum vom 1.1.1997 bis 31.12.2000. Er machte u. a. geltend, der Kläger habe Kindergeld nur für die Zukunft beantragt. Deshalb sei der Bescheid vom 1.12.2000 nur als Ablehnungsbescheid ab dem Zeitpunkt der Antragstellung zu verstehen. Für den vorhergehenden Zeitraum fehle eine Entscheidung der Familienkasse, so dass auf den jetzigen Antrag rückwirkend bis zum Eintritt der Verjährung das Kindergeld gewährt werden könne und müsse.

Mit Bescheid vom 28.3.2002 lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag ab. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 29.7.2002).

Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger macht weiter geltend, eine bestandskräftige Entscheidung, die die zurückliegenden Zeiträume betreffe, liege nicht vor. Aus dem Inhalt des Bescheids vom 1.12.2002 sei eine derart umfassende Wirkung für den ausländischen Kläger nicht erkennbar gewesen. Daher würden dem Kindergeldanspruch keine formalen Gründe entgegenstehen. Zudem habe die Familienkasse die Kindergeldansprüche in den lange zurückliegenden Zeiträumen tatsächlich nicht geprüft. Dies ergebe sich aus dem Schreiben des Landesarbeitsamts vom 2.1.2003. Zu den Einzelheiten des Klägervortrags wird auf die Schriftsätze vom 16.8.2002 und vom 13.1.2003 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 28.3.2002 sowie die Einspruchsentscheidung vom 29.7.2002 aufzuheben, soweit darin Kindergeldansprüche für die Zeit von Juli 1997 bis September 2000 abgelehnt werden und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für zwei Kinder für die Zeit von Juli 1997 bis einschließlich September 2000 zu gewähren.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Familienkasse führt aus, die Bestandskraft des Bescheids vom 1.12.2000 stehe dem Kindergeldanspruch entgegen...

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