Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Verfassungsmäßigkeit des § 233a Abs. 2 a AO. Aufhebung der Vollziehung in Sachen. Zinsen zur Körperschaftsteuer 1995
Tenor
1. Der Bescheid über Zinsen zur Körperschaftsteuer 1995 vom 4. August 1997 wird in Höhe von 69.681 DM von der Vollziehung aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
3. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist im Einspruchsverfahren die Festsetzung von Zinsen zur Körperschaftsteuer 1995 unter Anwendung des § 233 a Abs. 2 a Abgabenordnung ohne Berücksichtigung der Körperschaftsteuer-Minderung gemäß § 27 Abs. 1 und 3 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz aufgrund einer am 25.3.1996 beschlossenen Gewinnausschüttung für 1995.
Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Antragstellerin beantragt die Aufhebung der Vollziehung des Bescheids über Zinsen zur Körperschaftsteuer 1995 vom 4.8.1997 in Höhe des auf die Körperschaftsteuer-Minderung entfallenden Betrages wegen ernstlicher Zweifel an deren Rechtmäßigkeit und wegen einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotenen Härte.
Der Antragsgegner (Finanzamt) beantragt die Ablehnung des Antrags.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist begründet, da bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Beurteilung des Sachverhalts anhand der präsenten Beweismittel neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe vorliegen, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in rechtlicher oder Unklarheit in tatsächlicher Hinsicht bewirken (§ 69 Abs. 3 und Abs. 2 Finanzgerichtsordnung; Bundesfinanzhof-BFH-Beschlüsse vom 10.2.1967 III B 9/66, BFHE 87/447, BStBl III 1967, 182 und vom 5.3.1979 GrS 5/77, BFHE 127/140, BStBl II 1979, 50).
Der Senat hat zwar keine ernstlichen Zweifel, daß es sich bei der Gewinnausschüttung einer Kapitalgesellschaft für ein bestimmtes Wirtschaftsjahr, die erst nach Ablauf dieses Wirtschaftsjahres beschlossen werden kann und auch tatsächlich abfließt, im Hinblick auf § 27 Abs. 3 Körperschaftsteuergesetz um ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 233 a Abs. 2 a Abgabenordnung handelt (vgl. auch BFH vom 2.7.1997 I R 25/96, BStBl II 1997, 74). Der Klammerhinweis in § 233 a Abs. 2 a Abgabenordnung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Abgabenordnung bezieht sich allein auf die Auslegung des Begriffes „rückwirkendes Ereignis” und setzt nicht, wie die Antragstellerin meint, die für die Rechtsfolge des § 175 Abs. 1 Abgabenordnung erforderliche weitere Tatbestands Voraussetzung eines nachträglich, d.h. nach Erlaß eines Steuerbescheides, eingetretenen rückwirkenden Ereignisses voraus.
Der Senat vermag sich auch nicht der Auffassung der OFD Münster (Verfügung vom 12.2.1997, DB 1997, 553) und ihr folgend der Ansicht der Antragstellerin anzuschließen, der Begriff des rückwirkenden Ereignisses in § 233 a Abs. 2 a Abgabenordnung sei dahingehend einschränkend auszulegen, daß nur Gewinnausschüttungen von dieser Vorschrift erfaßt werden, die nach Ablauf des Folgejahres bei der Kapitalgesellschaft abfließen (z.B. Ausschüttung für 01 in 03).
Es kann dahinstehen, ob eine gesetzliche Regelung mit eindeutigem Wortlaut überhaupt der Auslegung zugänglich ist (streitig, vgl. BFH vom 18.5.1994 I R 84/93, BFHE 174/435, BStBl II 1994, 713, 714 m.w.N.). Wenn gegen den Wortlaut eine einengende Auslegung in dem o.g. Sinne überhaupt möglich sein sollte, müßte ein dahingehender vom Wortlaut abweichender gesetzgeberischer Wille klar erkennbar sein (vgl. BFH I R 84/93, a.a.O.; Tipke/Kruse, AO/FGO, 16. Aufl., § 4 Tz. 85 m.w.N.).
Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar entspricht es Sinn und Zweck der Zinsregelungen in § 233 a Abgabenordnung, Zins- und Liquiditätsvorteile abzuschöpfen, die – im Falle der Steuernachforderung – der Steuerschuldner und – im Falle der Steuererstattung – der Fiskus erzielt. Dem Sinn einer Vorschrift kommt aber die entscheidende Bedeutung nur zu, wenn der Wortlaut nicht zu einer bestimmten Auslegung zwingt (vgl. BFH vom 26.4.1995 I R 22/94, BFHE 177/237, BStBl II 1995, 601, 603). Der Wortlaut des § 233 a Abs. 2 a Abgabenordnung ist aber eindeutig und klar und deshalb einer davon abweichenden Auslegung nicht zugänglich, indem er den Zinslauf für Steuern, soweit sie auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses beruhen, abweichend von Absatz 2 Satz 1 und 2 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres beginnen läßt, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Wenn der Gesetzesplan im eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift keinen Ausdruck gefunden hat, steht es den Finanzgerichten nicht zu, korrigierend einzugreifen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, einen Gesetzeszweck „perfekt” mit in's einzelne gehenden Festlegungen gesetzlich umzusetzen. Er hat aber auch die Gestaltungsfreiheit, hierauf zu verzichten und darauf zurückzuführende nachteilige...