Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertrauenstatbestand durch Verwaltungshandeln; Grundsatz von Treu und Glauben

 

Leitsatz (redaktionell)

Aus dem Ergebnis vorangegangener Betriebsprüfungen kann ein Vertrauenstatbestand nicht hergeleitet werden. Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung verpflichtet das Finanzamt, eine als falsch erkannte Rechtsauffassung zum verfahrensrechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt zu korrigieren, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte.

 

Normenkette

AO §§ 227, 163

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 07.10.2010; Aktenzeichen V R 17/09)

BFH (Urteil vom 07.10.2010; Aktenzeichen V R 17/09)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Umsatzsteuer für die Jahre 1998 bis 2002, deren Festsetzung zwischen den Beteiligten umstritten ist, nicht auf jeden Fall aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO abweichend auf 0,00 DM festzusetzen bzw. gemäß § 227 AO zu erlassen ist.

Die Klägerin ist seit nunmehr … Jahren als Fachärztin für Chirurgie und plastische Chirurgie in eigener Praxis tätig und erzielt insoweit Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. In sämtlichen Betriebsprüfungsberichten für die früheren Jahre findet sich die Feststellung, dass alle Einnahmen der Klägerin aus ihrer fachärztlichen Tätigkeit unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG fielen und sie deshalb nicht umsatzsteuerpflichtig sei, so in den Bp-Berichten vom

03.11.1988 für die Jahre 1981 bis 1985,

19.04.1993 für die Jahre 1986 bis 1989,

04.03.1996 für die Jahre 1990 bis 1993 und

19.07.2000 für die Jahre 1995 bis 1997.

Auch bei der Durchführung der anschließenden Betriebsprüfung für die Jahre 1998 bis 2000 ging die Prüfung zunächst von der Steuerfreiheit sämtlicher Umsätze der Klägerin aus. Nach der Prüfungsanordnung vom 12.08.2002 galt die Prüfung ausschließlich der Überprüfung der Einkommensteuerveranlagungen. Bei der letzten Besprechung am 11.12.2002 – eine förmliche Schlussbesprechung hatte nicht stattgefunden – waren nach dem Akteninhalt und der unwidersprochenen Darstellung der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten zunächst ausschließlich einkommensteuerliche Sachverhalte erörtert worden, die teilweise noch zu klären waren. Sämtliche ihm zur Prüfung zur Verfügung gestellten Unterlagen gab der Prüfer am 12.12.2002 zurück.

Monate später, am 11.08.2003, forderte der Prüfer – offenbar nach Bekanntwerden des Urteils des FG Berlin vom 12.11.2002 (7 K 7264/02, EFG 2003, 418), nach dem Umsätze aufgrund medizinisch nicht indiziierter reiner Schönheitsoperationen nicht nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerbefreit sind – die Klägerin auf, die Unterlagen, insbesondere die Ausgangsrechnungen an Privatpatienten nochmals zur Überprüfung einzureichen und die in den Jahren 1998 bis 2000 erbrachten und abgerechneten Leistungen gegenüber Privatpatienten aufzuschlüsseln in medizinisch indiziierte Operationen und solchen, die ausschließlich aus ästhetischen Gründen durchgeführt worden seien, und dies durch geeignete Unterlagen zu belegen. Mit Verfügung vom 05.12.2003 erfolgte dann eine förmliche Erweiterung des Prüfungsgegenstandes auf die Umsatzsteuer.

Die Klägerin stellte sich auf den Standpunkt, dass die Rechnungen für die Fragestellung ohnehin nicht aussagekräftig seien. Darüber hinausgehende Unterlagen, insbesondere Daten aus der Patientenkartei, dürften aufgrund des ärztlichen Schweigegebots nicht vorgelegt werden. Im übrigen sei sie plastische Chirurgin und führe nach ihrem ärztlichen Selbstverständnis ausschließlich medizinisch indizierte Operationen bzw. Behandlungen durch.

Daraufhin schätzte der Betriebsprüfer wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht einen Anteil der Umsätze der Klägerin aus reinen (nicht medizinisch indiziierten) Schönheitsoperationen (Tz. 2.3 des Bp-Berichts vom 08.12.2003: 65 % der Privatpatientenerlöse). Das Finanzamt wertete den Betriebsprüfungsbericht aus und schätzte darüber hinaus die Umsatzsteuer „analog” auch für die Folgejahre 2001 und 2002, wobei es allerdings für 2002 zunächst die gesamten Erlöse aus Privatpatientenrechnungen als steuerpflichtig behandelte.; mit Änderungsbescheid für 2002 vom 14.05.2008 behandelte das Finanzamt dann auch für dieses Jahr 65 % der Privatpatientenerlöse als steuerpflichtig. Diese Festsetzungen waren bzw. sind zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach umstritten, die Bescheide – jeweils in Form der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung – vom 29.04.2004 für die Jahre 1998 bis 2000 im Klageverfahren 4 K 2686/05, der Bescheid vom 30.12.2003 für das Jahr 2002 (geändert mit Bescheid vom 14.05.2008) im Klageverfahren 4 K 4096/04 und der Bescheid vom 23.06.2005 für das Jahr 2001 in einem derzeit noch ruhenden außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren. Mit Urteilen vom heutigen Tage hat der Senat entschieden, dass die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 1998 – 2000 (4 K 2686/05) und 2002 (4 K 4096/04) grundsätzlich rechtmäßig, der Höhe nach aber herabzusetzen ist.

Unabhängig von diesem Streit der Beteiligten über die Umsatzsteuerfestsetzung d...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge