Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch für volljährige behinderte Kinder

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Ein Kind, das einer vollschichtigen Berufstätigkeit in einer geförderten und bezuschussten Arbeit nachgeht, kann gleichwohl "außerstande sein, sich selbst zu unterhalten", wenn sein Verdienst den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG übersteigen. Dieser kommt für behinderte Kinder i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht zur Anwendung. Für den behinderungsbedingten Mehrbedarf ist jedenfalls der Pauschbetrag des § 33b EStG anzusetzen.

2) Für die Berechnung der eigenen Einkünfte des Kindes ist grundsätzlich auf den Kalendermonat abzustellen.

3) Bei einem zu 100% behinderten Kind besteht die Vermutung, dass es - bedingt durch die Behinderung - außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 2, §§ 33b, 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Kindergeld für seine im November 1982 geborene Tochter T als behindertes Kind zusteht, insbesondere darüber, ob diese behinderungsbedingt außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten.

Der Kläger bezog bis Juli 2004 Kindergeld für T, deren Schwerbehindertenausweis einen Grad der Behinderung von 100% mit den Merkzeichen „G”, „H” und „RF” ausweist. Gleichwohl hat T im Juli 2004 eine – geförderte – Ausbildung zur Buchbinderin abgeschlossen. Nach Abschluss ihrer Ausbildung bezog sie zunächst Arbeitslosengeld, und zwar für die Zeit vom 13. Juli bis 31. Dezember 2004: 2.155 EUR (das Jahreseinkommen für 2004 betrug 2.760 EUR, Kindergeld-Akte, Bl. 48, 52); für die Zeit von Januar bis zum 2. Juli 2005 bezog sie ebenfalls Arbeitslosengeld i.H.v. 2.302 EUR (Bl. 57, 59). Im Juli 2005 erhielt T zunächst einen Zeitarbeitsvertrag für drei Monate, der im Oktober 2005 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt wurde (Kindergeld-Akte, Bl. 71). Es handelte sich nach den unwidersprochenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung um eine geförderte und bezuschusste Arbeit in einer Behindertenwerkstatt.

Im November 2005 beantragte der Kläger erneut Kindergeld für T als behindertes Kind für die Monate Juli bis Dezember 2004 (Bl. 43) und für 2005 (Kindergeld-Akte, Bl. 57). T sei behinderungsbedingt außer Stande, sich selbst zu unterhalten. Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 14. Juli 2006 in Form der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2007 lehnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab. Ein hoher Grad an Behinderung allein reiche nicht aus. T sei erwerbstätig und aufgrund der von ihr erzielten Einkünfte nicht behinderungsbedingt außer Stande sei sich selbst zu unterhalten.

Nach den ebenfalls unwidersprochenen Angaben des Klägers ist seine Tochter seit Oktober 2006 wieder arbeitslos; bis zum Tag der mündlichen Verhandlung war es ihr nicht gelungen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, obwohl sie gerne einer Berufstätigkeit nachgegangen wäre.

Der Kläger macht geltend, seine Tochter sei zwar einer Beschäftigung nachgegangen, der existenznotwendige Bedarf sei aber jedenfalls unter Berücksichtigung des für T maßgeblichen Behindertenpauschbetrages von 3.700 EUR für den behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht abgedeckt, wie sich aus folgender Berechnung ergebe:

2005: Einnahmen Bruttobezüge im Juli bis Dezember 2006

6.198 EUR

Arbeitslosengeld

2.302 EUR

Ausgaben Sozialversicherung

1.314 EUR

Fahrtkosten

(114 × 18 km × 0,30 EUR × 2

gemäß §§ 9 Abs. 2 EStG)

1.231 EUR

anteiliger AN-Pauschbetrag

460 EUR

höchstens demnach

5.396 EUR

2006: Einnahmen Bruttobezüge

12.502 EUR

Ausgaben Sozialversicherung

2.689 EUR

Fahrtkosten

(166 × 18 km × 0,30 EUR × 2 gemäß §§ 9 Abs. 2 EStG)

1.793 EUR

AN-Pauschbetrag

920 EUR

höchstens demnach

7.100 EUR

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Juli 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2007 zu verpflichten, das Kindergeld für T für die Monate Juli 2004 bis März 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Tochter des Klägers sei im Stande, sich selbst zu unterhalten. Bereits aus dem Bezug von Arbeitslosengeld ergebe sich, dass sie der Vermittlung durch die Agentur für Arbeit zur Verfügung gestanden habe und dementsprechend tatsächlich auch in der Lage gewesen sei, eine für sie in Frage kommende Arbeit aufzunehmen. Andernfalls wäre der Bezug der Leistungen zu Unrecht erfolgt. Zu Unrecht fordere der Kläger die Berücksichtigung des Pauschbetrags für behinderungsbedingten Mehrbedarf. Die Berücksichtigung als behindertes Kind setze die grundsätzliche Unfähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit infolge der Behinderung voraus. Nur in einem solchen Fall wäre zu prüfen, ob dass Kind trotz seiner Behinderung über Einnahmen verfüge, die zum Selbstunterhalt ausreichen. Da T trotz ihrer Behinderung unstreitig in der Lage sei, einen Beruf auszuüben, komme eine Berücksichtigung als behindertes Kind nicht in Betracht. Es gebe schließlich viele zu 100 % behinderte Menschen, die voll im Erwerbsleben stünden. Die vom BFH aufgeste...

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