Entscheidungsstichwort (Thema)

Berichtigung nach § 129 AO wegen offenbarer Unrichtigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Unterläuft dem Sachbearbeiter des FA bei der Veranlagung ein mechanischer oder diesem gleichzustellender Fehler (hier die fehlerhafte Gewährung des Freibetrags nach § 17 Abs. 3 EStG), steht dessen Berichtigung nach § 129 AO nicht entgegen, dass dieser mechanische Fehler im Rahmen einer Intensivprüfung weder von der Sachbearbeiterin der Qualitätssicherungsstelle noch von der Sachgebietsleiterin bemerkt wurde.

2) Der Umstand, dass der Steuerfall von drei Personen geprüft wurde (oder hätte geprüft werden sollen) und die dem Veranlagungsbearbeiter nachfolgenden Bearbeiter/Sachgebietsleiter den Fehler nicht entdeckt haben, lässt weder die Offenbarkeit des Fehlers entfallen, noch ist hierdurch ein mehr als theoretisch denkbarer Fehler in der rechtlichen Würdigung (oder gleichgestellter Fehler) anzunehmen.

 

Normenkette

AO § 129 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 10.12.2019; Aktenzeichen IX R 23/18)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer 2011 über die Frage, ob ein Bescheid, in welchem vom Beklagten bei der Besteuerung eines Veräußerungsgewinns nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fehlerhaft ein Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG gewährt worden war, nach § 129 der Abgabenordnung (AO) als offenbare Unrichtigkeit zulasten des Klägers berichtigt werden kann.

Der Kläger war im Streitjahr alleiniger Gesellschafter der B GmbH und veräußerte mit notariellem Vertrag vom 17. November 2011 (UR … des Notars U in A) einen Gesellschaftsanteil von 20 % für einen Verkaufspreis von 138.400 €. Die Beteiligung wurde im Privatvermögen gehalten. Die Übertragung sollte schuldrechtlich bereits mit Wirkung zum 31. Dezember 2010, 24 Uhr, erfolgen. Die auf den veräußerten Anteil entfallenden Anschaffungs-/Veräußerungskosten betragen unstreitig 5.500 €, wodurch sich ein zwischen den Beteiligten unstreitiger Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 1, 2 EStG i.H.v. 132.900 € ergibt, welcher nach dem Teileinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 EStG zu 60 %, d.h. in Höhe von 79.740 €, der Besteuerung unterliegt.

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2010, für welche eine andere Veranlagungsbearbeiterin als im Streitjahr 2011 zuständig war, wurde zwischen den Beteiligten der Besteuerungszeitpunkt thematisiert. Nach Erörterung war unstreitig, dass aufgrund des Vertrags in 2011 und der unstreitig erst im Jahre 2011 erfolgenden Übertragung des rechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen eine Erfassung im Veranlagungszeitraum (VZ) 2011 erfolgen sollte.

In der im Februar 2013 beim Beklagten elektronisch durch den Steuerberater des Klägers, den Prozessbevollmächtigten, mittels DATEV eingereichten Einkommensteuererklärung 2011 erklärte der Kläger daher bei seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Veräußerungsgewinn. Auf Seite 7 von 16 des Ausdrucks der Erklärungsdaten wird in Kennziffer 28 zutreffend ein „steuerpflichtiger Teil des Veräußerungsgewinns bei Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften / Genossenschaften nach § 17 EStG, […]” i.H.v. 79.740 € erklärt.

Ausweislich der Steuerakten wurde dieser Wert vom Veranlagungssachbearbeiter des Beklagten, dem Zeugen C, mit einem „Haken” versehen sowie einem Text „siehe V-Akte”. Der Steuererklärung ist anschließend eine vom Veranlagungssachbearbeiter beigeheftete „Checkliste Anteilsveräußerung” angefügt, in welcher der Veranlagungssachbearbeiter errechnet „VP 138.400 € ./. AK 5.500 € = 132.900 € × 0,6 = 79.740 € (wie erklärt)”. Die Steuererklärung ist außerdem auf dem Mantelbogen mit dem Hinweis „H-Fall” und „RKS 1” und „O-Fall / Sgl.” versehen. Außerdem unterlag er dem Prüfungsfeld „Veräußerungsgewinne”.

Im weiteren maschinellen Veranlagungsverfahren beim Beklagten kam es anschließend – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – zunächst zu einem „Abbruchhinweis 3366:D” mit dem Text „Eine maschinelle Berechnung ist nicht möglich. Die personell ermittelten steuerfreien Veräußerungsgewinne sind in der Kennziffer 45.83 einzutragen.” Anschließend erfolgte eine Eintragung in Sachbereich 45, Kennziffer 83 (Beschreibungstext: „personell ermittelter steuerfreier Veräußerungsgewinn”) mit einem Wert von 79.740 €. Richtigerweise dort – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – ein Wert von 0 € hätte eingetragen werden müssen. Eine nach Eintragung am Bildschirm angezeigte und für die Akten ausgedruckte Prüfberechnung führt u.a. aus: „Fall der RK [= Risikoklasse] 1: Bitte den Steuerfall unter Einbeziehung der ggf. ausgegebenen Risikohinweise vollumfänglich prüfen.”. Ein darunter aufgeführter Prüfhinweis zu § 17 EStG (PHW 4863) führt aus, dass der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG zu prüfen ist. Auch dieser Prüfhinweis wurde vom Veranlagungsbearbeiter mit einem „Haken” sowie dem Vermerk „siehe V-Akte” versehen. Anhand der durch das Gericht beigezogenen Sonderakte (u.a. wegen „Anteile GmbH”) ist erkennbar, dass dem Beklagten der Veräußerungsvertrag...

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