Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzverfahren; Frage der Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sonstige Masseverbindlichkeiten sind gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO solche Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.

2. Ein Unterlassen des Insolvenzverwalters genügt zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nur dann, wenn er dadurch eine Amtspflicht zum Tätigkwerden verletzt. Die bloße Duldung einer Tätigkeit des Insolvenzschuldners durch den Insolvenzverwalter oder dessen bloße Kenntnis macht die Einkommensteuer, die aufgrund dieser Einkünfte entsteht, noch nicht zu einer Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Das gilt nach Auffassung des erkennenden Senats für Umsatzsteuerverbindlichkeiten gleichermaßen.

 

Normenkette

InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 06.06.2019; Aktenzeichen V R 51/17)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2012 rechtmäßig ist, insbesondere ob die streitige Umsatzsteuer eine Masseverbindlichkeit darstellt.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn A – im Folgenden Herr A –. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte am …. Juli 2012. Der Insolvenzschuldner war früher … selbstständig tätig. Ab dem …. Juli 2012 ist er rechtskräftig mit einem Berufsverbot belegt. Für die Kanzlei wurde ab dem …. Oktober 2012 Herr W zunächst als Vertreter und später als Praxisabwickler bestellt.

Beim Finanzamt B wurde unter der Steuernummer 1 die A KG i. L. – im Folgenden KG – geführt. Diese Gesellschaft reichte bis einschließlich Oktober 2012 beim Finanzamt B Umsatzsteuervoranmeldungen ein. Hierin erklärte die KG steuerpflichtige Umsätze i.H.v. 118.280 € und Vorsteuern i.H.v. 5.142,78 €. Auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung entfielen Umsätze in Höhe vom 75.338,25 € und Vorsteuern i.H.v. 3.314,40 €. Die Voranmeldungen waren nicht vom Komplementär der Gesellschaft, Herr C, unterzeichnet. Dieser teilte gegenüber der Finanzverwaltung mit, die KG habe keine Beratungstätigkeiten aufgenommen. Ein aktiver Geschäftsbetrieb sei nicht geführt worden. Es habe sich während der gesamten Zeit um eine inaktive Gesellschaft gehandelt.

Im Rahmen einer bei der KG durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam das Finanzamt B zu dem Ergebnis, dass die Gesellschaft keinen Geschäftsbetrieb entfaltet habe. Steuerpflichtige Umsätze seien Herrn A als Einzelunternehmer und nicht der Gesellschaft zuzurechnen. Hiervon abweichend kam das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung D – im Folgenden Steuerfahndung – zu der Auffassung, dass die in Rede stehenden Umsätze nicht dem Einzelunternehmer A, sondern der KG zuzuordnen seien, weil diese im Außenverhältnis gegenüber den Mandanten als Vertragspartner aufgetreten sei.

Da weder der Kläger als Insolvenzverwalter noch der Kanzleivertreter des Insolvenzschuldners im Streitjahr Umsätze erzielt hatten, gab der Kläger keine Umsatzsteuererklärung 2012 ab. Eine Freigabe von Vermögen im Sinne des § 35 Abs. 2 der Insolvenzordnung – InsO – erklärte der Kläger gegenüber dem Insolvenzschuldner nicht.

Aufgrund der Rechtsauffassung der Umsatzsteuer-Sonderprüfung des Finanzamts B ging der Beklagte davon aus, dass nicht die KG, sondern der Insolvenzschuldner die streitigen Umsätze erzielt habe. Auf Basis der für die KG eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen schätzte der Beklagte die Umsatzsteuer 2012 daher mit Bescheid vom 15. Oktober 2014 auf 6.330,41 € und vertrat insoweit die Rechtsauffassung, es handle sich um eine Masseschuld. Wegen der Einzelheiten wird auf den Umsatzsteuerbescheid verwiesen (Bl. 33 der Prozessakte).

Hiergegen hat der Kläger, an den dieser Bescheid gerichtet war, am 17. Oktober 2014 Einspruch eingelegt. Zur Begründung trug er vor, der Insolvenzschuldner sei mit einem Berufsverbot belegt worden. Daher habe dieser die Umsätze allenfalls über andere Gesellschaften getätigt. Er – der Kläger – habe keine Kenntnis darüber, ob der Insolvenzschuldner berufsverbotswidrig weiterhin eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt habe. Erträge seien nicht zur Masse gelangt. Er gehe davon aus, dass sich der Insolvenzschuldner an das Berufsverbot halte und keine selbständige Tätigkeit ausführe.

Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 12. November 2014 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die Voranmeldungen seien nicht vom Komplementär der KG unterzeichnet worden. Daher liege die Vermutung nahe, dass es sich um Umsätze des Insolvenzschuldners aus eigener Tätigkeit handele. Das gelte umso mehr, als die Unterschrift auf den Umsatzsteuervoranmeldungen der Unterschrift des Insolvenzschuldners entspreche.

Der Kläger habe ausreichende Anhaltspunkte dafür gehabt, dass der Insolvenzschuldner auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterhin seine selbständig...

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