Entscheidungsstichwort (Thema)

Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Nach Auffassung des EuGH ist ein Umsatz, der seitens des Verkäufers mit einem Umsatzsteuerbetrug behaftet ist, als Lieferung i.S. der Art. 2 Nr. 1, 5 Abs. 1 der Richtlinie EWG 77/388/EWG anzusehen. Diese Auslegung ist auch für das nationale Recht in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG maßgeblich.

2) Eine "Anschrift" i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UStG (1998) verlangt, dass unter dem angegebenen Firmensitz wirtschaftliche Aktivität entfaltet wird. Ein "Scheinsitz" liegt vor, wenn am angegebenen Firmensitz weder Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktionen, noch Behördenkontakte, noch Zahlungsverkehr stattfindet.

3) Die Richtigkeit der Anschrift muss sowohl bei Ausführung der Leistung als auch bei Rechnungsausstellung zutreffend sein.

4) Das Fehlen einer Rechnungsanschrift ist unbeachtlich, wenn es sich um einen Erwerber handelt, der alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Umsätze nicht mit einem "missing trader" getätigt werden und er von dessen Betrug nicht wusste und nichts hätte wissen müssen.

 

Normenkette

UStG 1998 § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; UStDV § 31 Abs. 1 S. 2; EWG 77/388/EWG Art. 17 Abs. 1; UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 08.07.2009; Aktenzeichen XI R 51/07)

BFH (Urteil vom 08.07.2009; Aktenzeichen XI R 51/07)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten nach einer außergerichtlichen Einigung für das Kalenderjahr 1997 über die Berechtigung des Klägers zum Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firmen X und T.

Der Kläger betrieb in den Streitjahren als Einzelunternehmer einen Gebrauchtwagenhandel in F unter dem Namen „M” (mit Namenszusatz). Er erwarb im Streitjahr zwischen dem 13.01. und dem 13.03.1998 von der Firma X-Automobile verschiedene PKW. Aus den Rechnungen der Firma X machte der Kläger Vorsteuerbeträge im Streitjahr in Höhe von 39.456,52 DM geltend. Außerdem erwarb der Kläger im Streitjahr zwischen dem 27.03.1998 und dem 27.06.1998 von der Firma T-Automobile verschiedene Fahrzeuge. Aus den Rechnungen der Firma T beanspruchte der Kläger Vorsteuerbeträge in Höhe von 192.249,48 DM. Für die Einzelheiten wird auf die Kopien der einzelnen Rechnungen in der Rechtsbehelfsakte Bezug genommen.

Nach Ermittlungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (im folgenden: Steufa) waren die Beschuldigten Herr X, Herr I und Herr U Initiatoren eines Umsatzsteuerbetrugs. Die Vorgehensweise der Beschuldigten habe darauf beruht – so das Ermittlungsergebnis der Steufa –, Fahrzeuge mittels eines vorgetäuschten innergemeinschaftlichen Erwerbs im Inland netto ohne Umsatzsteuer zu erwerben und bei der Weiterveräußerung der Fahrzeuge die ausgewiesene und vom Abnehmer gezahlte Umsatzsteuer für sich zu vereinnahmen. Bei den angekauften und weiterveräußerten Fahrzeugen habe es sich um hochwertige neue oder neuwertige Kraftfahrzeuge der Marken A, B und C gehandelt. Die beim Weiterverkauf durch die Beschuldigten in Rechnung gestellte und ausgewiesene Umsatzsteuer sei weder erklärt noch abgeführt worden.

Die Veräußerung im Inland habe durch Scheinfirmen stattgefunden, da nicht die Absicht bestanden habe, mit diesen am „ehrlichen” wirtschaftlichen Geschäftsverkehr teilzunehmen. Die von den Scheinfirmen weiterveräußerten Fahrzeuge seien jeweils tatsächlich geliefert worden, da diese als Tatwerkzeuge notwendig gewesen seien, um von den jeweiligen Abnehmern eine Auszahlung der Brutto-Rechnungsbeträge zu erreichen. Es handele sich aber trotz der tatsächlich durchgeführten Lieferungen umsatzsteuerlich um Scheinlieferungen, da die Beschuldigten auf Basis der Netto-Einkaufspreise regelmäßig die Fahrzeuge zu billig und mit Verlust verkauft hätten, um Abnehmer zu finden.

Die Weiterveräußerung der angekauften Fahrzeuge sei unter anderem durch die Firmen X-Automobile, mit Sitz V-Straße in Y und die Firma T-Automobile mit Sitz an in der G-Straße in E erfolgt.

Die Firma X-Automobile mietete im Jahr 1997 unter der Anschrift V-Straße in Y teilmöblierte Räume mit sechs PKW-Stellplätzen an und übte von dort ihre Geschäftstätigkeit aus. Die Räume waren mit Schreibtisch, Computer und Telefon ausgestattet. Bis zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt im Dezember 1997 wurden die Geschäftsräume von der Firma X tatsächlich genutzt, danach war in den Büroräumen niemand mehr anzutreffen. Der Verwalter und Mitmieter der Immobilie, Herr G, konnte die Stromabrechnung vom 15.12.1997 nicht mehr kassieren und auch danach in den Geschäftsräumen niemanden mehr erreichen. Der Umsatzsteuer-Sonderprüfer des Finanzamts W suchte am 16.01.1998 zu einem mit Herrn X telefonisch vereinbarten Prüfungstermin und am 22.02.1998 die Geschäftsräume der Firma X vergeblich auf. Herr X konnte in der Folgezeit telefonisch nicht mehr erreicht werden. Am Gebäude war zu diesem Zeitpunkt noch ein Schild mit dem Hinweis auf die Räume der Firma X in der 1. Etage angebracht gewesen, die Klingel war ebenfalls gekennzeichnet. Auf der Briefkastenanlage war kein Hin...

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