Entscheidungsstichwort (Thema)

EuGH-Vorlage zum Rechtsbegriff "Gestellung von Personal" und zur Einheitlichkeit der Entscheidung gegenüber Leistungserbringer und Leistungsempfänger

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e Spiegelstrich 6 der "Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage" (im Folgenden: Richtlinie 77/388) [nachfolgend: Artikel 56 Absatz 1 Buchstabe f der "Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem" in der Fassung bis 31.12.2009, im Folgenden: Richtlinie 2006/112] dahin auszulegen, dass "Gestellung von Personal" auch die Gestellung von selbstständigem, nicht beim leistenden Unternehmer abhängig beschäftigtem Personal umfasst?

Sind Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe a, Abs. 3 Buchstabe a, Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a Richtlinie 77/388 [inzwischen: Art. 167, Art. 168 Buchstabe a, Art. 169 Buchstabe a, Art. 178 Buchstabe a Richtlinie 2006/112] dahin auszulegen, dass das nationale Verfahrensrecht Vorkehrungen dafür treffen muss, dass die Steuerbarkeit und Steuerpflicht ein und derselben Leistung beim leistenden und beim leistungsempfangenden Unternehmer gleich beurteilt wird, auch wenn für beide Unternehmer verschiedene Finanzbehörden zuständig sind?

Nur falls "ja" zu 2.:

Sind Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe a, Abs. 3 Buchstabe a, Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a Richtlinie 77/388 [inzwischen: Art. 167, Art. 168 Buchstabe a, Art. 169 Buchstabe a, Art. 178 Buchstabe a Richtlinie 2006/112] dahin auszulegen, dass die Frist, binnen derer der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug für eine erhaltene Leistung geltend machen kann, nicht ablaufen darf, bevor über die Steuerbarkeit und Steuerpflicht gegenüber dem leistenden Unternehmer rechtskräftig entschieden ist?

 

Normenkette

UStG § 3a Abs. 4 Nr. 7, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 18 Abs. 9 S. 3; FGO § 60 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 110 Abs. 1; AO § 174 Abs. 4-5; Richtlinie 77/388 Art. 9 Abs. 2 Buchst. e Spiegelstrich 6, Art. 17 Abs. 1, 2 Buchstabe a, Abs. 3 Buchstabe a

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 26.01.2012; Aktenzeichen C-218/10)

 

Tatbestand

I. Sachverhalt und Streitstand

Die Beteiligten streiten wegen der Umsatzsteuerbarkeit um den Leistungsort von Personalgestellungen selbstständiger LKW-Fahrer ins Ausland.

a) Die Klägerin betrieb im Streitjahr 2005 folgendes Geschäftsmodell: Die Klägerin vermittelt selbstständig tätige LKW-Fahrer an Speditionen, v. a. in Deutschland, Dänemark und - hier verfahrensgegenständlich - Italien (Südtirol), insbesondere bei kurzfristigen Einsätzen, etwa bei Krankheit, Urlaub oder Spitzenzeiten. Mit den Fahrern bestehen schriftliche, als "Vermittlungsvereinbarung" bezeichnete Verträge (vgl. Anlageband Fach 9. Juni 2009, unfoliiert). Die Anforderung von Leistungen durch die abnehmenden Speditionen erfolgt im Einzelfall telefonisch bei der Klägerin. Die Fahrer stellen der Klägerin ihre Dienstleistung (Führen der von den Speditionen bereitgestellten LKW) in Rechnung. Die Klägerin legt den Abnehmern (Speditionen) Rechnung über die Fahrergestellung. Die Preisdifferenz (Marge der Klägerin) beträgt zwischen 8 % (dauerhafte Aufträge) und 20 % (Einzelaufträge). Die Abnehmer zahlen an die Klägerin, diese an die Fahrer.

b) Die Klägerin legte den deutschen Abnehmern Rechnung zuzüglich Umsatzsteuer, den ausländischen jedoch zunächst ohne Umsatzsteuer (vgl. Anlageband Fach 9. Juni 2009, unfoliiert), weil sie davon ausging, dass es sich um die "Gestellung von Personal" im Sinne von § 3a Abs. 4 Nr. 7 UStG in der Fassung bis 31.12.2009 handelte, daher der Leistungsort gemäß § 3a Abs. 3 Satz 1 UStG in der Fassung bis 31.12.2009 am Ort der leistungsempfangenden Speditionen in Italien läge und die Leistungen daher gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG mangels Ausführung im Inland nicht steuerbar seien.

a) Aufgrund Prüfungsanordnung vom 16. Dezember 2005 führte das Finanzamt- FA - bei der Klägerin eine USt-Sonderprüfung für das 1. bis 3. Quartal 2005 durch. Das FA vertrat im Betriebsprüfungsbericht vom 3. Juli 2006 die Auffassung, dass "Gestellung von Personal" nur die Zurverfügungstellung von eigenen Arbeitnehmern (Arbeitnehmerüberlassung) umfasse und deswegen der Leistungsort gemäß § 3a Abs. 1 UStG in der Fassung bis 31.12.2009 am Ort der Klägerin und somit im Inland liege, so dass die Leistungen steuerbar seien (Betriebsprüfungsakte - Bp-A - unfoliiert, Tz. 14 des Berichts).

b) Die Klägerin legte fortan diese Rechtsauffassung des FA ihrer Geschäftstätigkeit zugrunde und legte auch den italienischen Geschäftspartnern Rechnungen zuzüglich seinerzeit 16 % Umsatzsteuer. Außerdem erstellte sie am 4. September 2006 für alle in 2005 erbrachten Leistungen nachträglich geänderte Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis (vgl. Anlageband, Fach 17. Sept...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge