Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungsbefugnis gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO - Offenbare Unrichtigkeit bei irrtümlicher Qualifikation als Halbeinkünfte

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein die Einkünfte einer Grundstücksgemeinschaft aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG betreffender Feststellungsbescheid kann unter Berücksichtigung der Angaben in der Feststellungserklärung dahin auszulegen sein, dass hierin – mit der Rechtsfolge der Änderungsbefugnis gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bei unrichtiger oder unvollständiger Auswertung des Grundlagenbescheids - konkludent negativ die Nichtanwendung des Halbeinkünfteverfahrens mit Bindungswirkung für die Einkommensteuerbescheide der Gemeinschafter festgestellt wird.

Werden zutreffend erklärte Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften durch einen irrtümlichen zusätzlichen Eintrag des Veranlagungsbearbeiters unter der Kz. 136 der Anlage SO als Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt, erfasst, kann die Einkommensteuerfestsetzung insoweit wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 129 AO berichtigt werden, wenn aus der Steuerakte keine „Spuren einer Willensbildung” des Bearbeiters in Bezug auf diese Einkünftequalifikation ersichtlich sind.

 

Normenkette

AO § 129 S. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2, § 23

 

Streitjahr(e)

2007

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 10.05.2016; Aktenzeichen IX R 4/15)

BFH (Urteil vom 10.05.2016; Aktenzeichen IX R 4/15)

 

Tatbestand

Die Kläger sind Eheleute, die vom Beklagten (Finanzamt --FA--) u.a. für das Streitjahr 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Streitig ist, ob das FA hinsichtlich gesondert und einheitlich festgestellter (Beteiligungs-)Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) befugt war, einen bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid zu Lasten der Kläger zu ändern.

Die Kläger reichten ihre Einkommensteuererklärung 2007 am 27.2.2009 beim FA ein. Auf der Rückseite der Anlage SO 2007, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wurden neben Einkünften des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften betreffend „Andere Wirtschaftsgüter (insbesondere Wertpapiere)” auch Anteile des Klägers an Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften erklärt.

In den Zeilen 58/59 --"Anteile an Einkünften (einschl. des steuerfreien Teils der Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt)”-- war in der Kennziffer (Kz.) 134 ein Betrag von 2.095.500 € eingetragen; in Zeile 60 --"In Zeile 59 enthaltene Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt”-- war in der diesbezüglichen Kz. 136 kein Eintrag enthalten. Die „Beteiligungen an privaten Veräußerungsgeschäften 2007” waren in einer gesonderten Anlage zur Einkommensteuererklärung wie folgt erläutert:

X-Straße

558.707,00 €

Y-Stadt

1.536.793,00 €

Summe

2.095.500,00 €

In Bezug auf die übrigen Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften waren die Angaben in den Zeilen 41 bis 50 der Anlage SO in einer insges. 3 Seiten umfassenden „Ergänzungsliste zur Anlage SO” näher erläutert, und zwar jeweils mit detaillierten Angaben betreffend die jeweiligen Beträge, die „dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen” und die „nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen”.

Das FA setzte in dem erstmaligen Einkommensteuerbescheid 2007 vom 4.9.2009, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, die Einkommensteuer auf 0 € fest. Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften waren in diesem Bescheid nur i.H. von 1.047.934 € angesetzt. Ursache für diesen --unstreitig fehlerhaften-- Ansatz war der Umstand, dass der in Kz. 134 eingetragene Betrag von 2.095.500 € durch den Bearbeiter irrtümlich auch unter der Kz. 136 („Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt”) erfasst wurde. Folgende Eintragungen im „SB 55/UnterSB 0” führten bei der Erstveranlagung zu Ansatz von Einkünften des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H.v. 1.047.934 € (s. S. 2 der vom FA vorgelegten FD-Daten-Historie):

Kz.

Wert

Auswirkung

116

-5.188

-5.188,00

126

505

252,50

128

10.239

5.119,50

134

2.095.500

0,00

136

2.095.500

1.047.750,00

Summe

1.047.934,00

Das FA A-Stadt hatte unter der St.Nr. … betreffend die „Grundbesitzgesellschaft B-Straße” für 2007 Einkünfte mit Feststellungsbescheid vom 22.1.2009 gesondert und einheitlich festgestellt und die auf den Kläger entfallenden Anteile an den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (-25.555 €), den Einkünften/Einnahmen aus Kapitalvermögen (8.253 €) und den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG (1.536.793,50 €) dem beklagten FA am selben Tage mitgeteilt.

Das beklagte FA … (Vbz 18) stellte unter der St.Nr. … betreffend die „C u. D Grundstücksgemeinschaft” für 2007 die Einkünfte erst mit dem erstmaligen, an den Empfangsbevollmächtigten C adressierten Feststellungsbescheid vom 12.4.2010 gesondert und einheitlich fest; es teilte die auf den ...

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